Milutin Michael NICKL
Erwägungen zur Centrality of Speech zwischen philologischer Intuition und kommunikationstheoretischer Integration

Extended version. 2024 summer upgrade of print-version 2023 doi.org/10.32589/2408-9885.2023.18.305038


Abstract
Basierend auf einer kritischen Situierung von Deutsch im globalen, mehrsprachlichen Kontext wird begründet, wieso keine Chancengleichheit in der mehrsprachigen Welt der Sprachlichen Humankommunikation existiert und exstieren kann. Weder quantitativ global noch kommunikatorzentriert im individuellen Subjekt, noch interpersonal, noch gruppenspezifisch, noch im Rahmen typischer Areale der medienspezifisch verknüpften Sprachlich-Öffentlichen Kommunikation. Für menschliche Kommunikation bleiben die Primärdaten der kognitiv-kommunikativ Sprechtätigkeit zentral. Digitale Adminicula/Hilfsmittel der Lehrvermittlung sollten nicht dämonisiert werden, auch nicht AI-gestützte Chatprogramme mit Übersetzungsfunktionen und enzyklopädisch vernetzten Archiv- und Datenzugriffsmöglichkeiten. Es kommt u.a. auf Benutzerfreundlichkeit und Individualisierbarkeit an: Die Balance zwischen humanwissenschaftlichen, phonetischen und innovativen Anteilen ebenso wie zwischen philologischer Kategorisierung und kommunikationstheoretischer Integration ist relevant. Zudem wird für eine Reduktion fachfremder Ideologisierung und Soziologisierung bei Lernen und Lehrvermittlung plädiert. Technologische Adminicula sind methodenpluralistisch gut. Angesichts technologischer Fortschrittsetappen könnte sich der progressive Homo loquens AI-modifiziert zum Homo multarum linguarum peritus entwickeln. Mit realer Transformationsoption auf Homo digitalis atque sermocinalis.
Schlüsselwörter
: zentrale Rolle der kognitiv-kommunikativen Sprechtätigkeit, intuitiv-philologische Kategorisierung, homo loquens, homo multarum linguarum peritus, homo digitalis atque sermocinalis, kommunikationstheoretische Integration.


Considerations on the Centrality of Speech between Philological
Intuition and Communication-theoretical Integration

Based on a critical positioning of German in a global, multilingual context, it is outlined why there is and can be no equality of opportunity in the multilingual world of human linguistic communication. Neither quantitatively global nor communicator-centered in terms of the individual subject, nor interpersonal, nor group-specific, nor within the framework of typical areas of media-specific linked public speechlanguage communication. The primary data of cognitive-communicative speech activity remains central to human communication. Both should not be demonized: neither digital aids and appliances of teaching mediation, nor AI-supported chat programs with translation functions and encyclopaedically networked archive and data access options. Usability and customizability (individualization) are significant. The balance between human scientific, phonetic and innovative components as well as between philological categorization and communication-theoretical integration is relevant. In addition, a reduction in the ideologization and sociologization of learning and teaching is advocated. Technological ‚adminicula‘ are good in terms of methodological pluralism. In view of technological progress stages, Homo loquens AI-modified could develop into Homo multarum linguarum peritus. With a real transformation option onto Homo digitalis atque sermocinalis
.
Key words: Centrality of cognitive-communicative Speech, categorization, homo multarum linguarum peritus, homo digitalis atque sermocinalis, communication-theoretical integration.


Міркування про центральне місце мовлення між філологічною інтуїцією та комунікативно-теоретичною інтеграцією.
На основі критичного погляду на позиціонування німецької мови в глобальному багатомовному контексті наголошується на тому, що в багатомовному світі комунікації немає і не може бути рівності можливостей для мов комунікації у лінгвістичному плані. Ані кількісно стосовно глобальної, ані комунікативно орієнтованої на окремого суб’єкта, ані міжособистісної, ані групової, ані в межах типових сфер медіа-специфічної усної/писемної публічної комунікації. При цьому кардинальне значення для людського спілкування мають, як і мали, первинні дані когнітивно-комунікативної мовленнєвої діяльності. Не слід демонізувати як цифрову форму викладацької діяльності, так і чат-програми зі штучним інтелектом, які підтримують функції перекладу та мережеві можливості доступу до архівів і даних енциклопедичного характеру. Показовими є зручність та можливість індивідувалізації надання послуг. Важливим є баланс між гуманітарними дисциплінами, як фонетичними та інноваційними, так і між філологічною категоризацією та теорією комунікації. З огляду на етапи технологічного прогресу, Homo loquens (людина, що говорить), модифікований штучним інтелектом, може перетворитися на Homo multarum linguarum peritus (багатомовну людину) з реальною можливістю перетворення на Homo digitalis atque sermocinalis (людину, яка спілкується у цифровому форматі).
Ключові слова: кардинальність когнітивно-комунікативного мовлення, категоризація, homo loquens, homo multarum linguarum peritus, homo digitalis atque sermocinalis, інтеграція теорії комунікації.

 

Draft / Thesenpaper

1) Transnationale deutsche Gegenwartssprache im Kontext weltweiter Sprachen und Deutsch als Wissenschaftssprache
2) Offene Frage zur Theory of Collective Identity
3) Globales, mehrfachvermitteltes Deutsch als eklektisch komponierte, künftige Leitvarietät der deutschen Sprechsprache
4) Organische Sprachauffassung und empirisch-heterogene Gegenstandskonstitution
5) Lernen, Lehren, Forschen, Entwickeln und Anwenden in der Mehrsprachigkeit vollzieht sich individuell, interpersonal und interdisziplinär
6) Idiolektale Interkulturalität. 
Aspekte zur Bedrohung der Redefreiheit in der Ukraine (Exkurs)
7) Streiflichter des Machtkampfs um digitale Einflußdomänen, Kontrolloptionen und Regulierungsmodi: 
Aspektierung und Ablehnung des AI-Acts der EU
8) Basics der Centrality of Speech Communication: Contra soziologische Vereinnahmung
9) Rollenanforderungen an Sprach-, Sprech-, Kultur- und Landeskunde-Vermittler 
10) Ausblick & Concluding Remarks

1) Transnationale deutsche Gegenwartssprache im Kontext weltweiter Sprachen und Deutsch als Wissenschaftssprache

Plurikulturell orientiertes Lehren und Lernen in limitierten Mehrsprachigkeits- und Sprachkontakt-Umgebungen zu diskutieren, bedeutet, sich auf fluktuierende Gruppenkommunikation, kontroverse Realitätskonstruktionen, inkommensurable Standpunkte und konfligierende Kommunikationsstrategien einzulassen. Was den Beitrag überfrachten würde. Sowohl die reduzierte Praxis der Saussureschen Linguistik, als auch Determinismus und Strukturalismus, die von normativ-präskriptiv manipulierten, orthographisch und redaktionell präparierten Sekundärdaten-Clustern ausgehen, werden daher nur abgrenzend gestreift. Aufgegriffen werden Argumente, Aspektierungen und Teilprobleme ausgewählter Ansätze zur kognitiv-kommunikativen Sprechtätigkeit. Beim mediengestützten Lernen und Lehren, in der Kultur-, Sprach- und Landeskunde-Vermittlung kommt es drauf an, die Centrality of Speech in ihren Empirien, Modalitäten und Repräsentationsniveaus der Sprechsprache mit dem technologischen Fortschritt entsprechend informativ sinnvoll, motivierend und glaubwürdig zu verbinden (Woolbert 1916, Drach 1926, O’Neill 1928, Weithase 1961, Dance 1970/82/89, Cohen 1994, Nickl 1982, 2009a, 2023b). Das beginnt mit beliebig reproduzierbaren Schallaufnahmen, Tondokumenten bzw. Tonaufnahmen gesprochener Sprache, die technisch seit über hundert Jahren zur Verfügung stehen. AV-Medien sind etwas jüngeren Datums. Inzwischen sind sie ausdifferenziert entwickelt, preisgünstig und im Alltag mit Routine eingeübt. Für deskriptive Oberflächenlinguistik (Ivić/Ивић 1963, 2001) brauchen sie nicht neu entdeckt zu werden.

1a
) Ausgangsbasis für deutsche Gegenwartssprache ist ihre Situierung im Kontext weltweit genutzter Sprachen, zunächst bezogen auf Deutsch als Websprache. Gegenwartsdeutsch erscheint, soweit aktuell greifbare, globale Schätzungen (nach Internetworldstats und Statista) als verläßlich einzuschätzen sind, zwar etwas labil. Insgesamt jedoch verhältnismäßig günstig. Transnational German Communication (Nickl 2013/16) mit vielen Hypoformen und Varietäten ist angesichts von über 7160 weltweit gezählten, lebenden Sprachen (Ethnologue 2023) sprachdidaktisch und kommunikationspädagogisch wie wirtschaftlich relevant. Zirka 6000 indigene Sprachen mit eher restriktiven Chancen auf Inkorporierung von fremdwörtlichen Wortschatzgebilden und Wortbildungsmöglichkeiten sind in der globalen Sprachen-Gesamtheit eingeschlossen. 23 der überregional aktiven Sprachen repräsentieren über die Hälfte der Weltpopulation.

1b
) Unter den Top Ten Websprachen wird Deutsch als Nr.10 gelistet (Stand: 2020). Zu vorherigen Web-Etappen und Situierungen des Gegenwartsdeutschen seit 1999: vgl. Nickl 2007, 2009b, 2011a, 2013, 2016. Unter den gesprochenen, natürlichen Sprachen rangiert Deutsch auf dem 12. Platz (Stand: 2023), knapp vor Japanisch und Nigerian Pidgin. In der EU ist Deutsch bei Muttersprachlern die Websprache Nr. 1. Zählt man Muttersprachler und Zweitsprachler zusammen, rangiert Englisch vor Deutsch innerhalb der EU. Deutsch bildet quantitativ einen knappen 2%-Anteil innerhalb der Top Ten Websprachen. Innerhalb dieses 2%-Sektors lässt sich ein Minimalsegment an normativ-präskriptiv dekretierter Kanonischer Form herausspationieren, das von administrativen, ökonomischen, politischen und akademischen Funktionseliten benutzt wird: Deutsch als Amtssprache (Ammon 2016, RdR-Regelwerk vom Dez.2023) in Behörden, Bildungseinrichtungen, auch bei Lobbyisten, Gewerkschaften, Gruppensprechern, Verbänden und Vereinigungen, Deutsch auf Beipackzetteln und Bedienungsanleitungen. Diese Kanonische Form sollte nicht überbewertet, sondern vom allgemein-empirischen Sprachgebrauch her beurteilt werden, auch wenn sie z.B. im Funktionärsjargon der Gendersprache (Nickl 2021) viel Aufmerksamkeit absorbiert.


1c
) Einer der problematischen Punkte: Deutsch als Wissenschaftssprache.
Zwar wurde seit Gründung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759 Deutsch deklarativ und seinerzeit sprachpolitisch verwendet. Nach zwei verlorenen Weltkriegen ist Deutsch nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern über ein Dreivierteljahrhundert hindurch bis heute die Sprache der Besiegten mit teils vehement negativen Nachwirkungen geblieben (in manchen Ländern mit drastischen Verfolgungsphasen). Und als Wissenschaftssprache ist das fachsprachlich optimierte Gegenwartsdeutsch auch als flexible, komplex hierarchisierungsfähige Mischsprache wiederum eine Minderheitensprache, aktuell dennoch nicht megaout, was wiederum mit seiner Mischsprachen-Flexibilität und dynamischen Mischsprachenpotenz zusammenhängt. Abgesehen von der Konkurrenzfähigkeit deutschsprachiger Wissenschaftler steht die Selbstbehauptung des Gegenwartsdeutschen in den Wissenschaften zur Debatte. Mit großem Abstand hinter Englisch liegt Deutsch bei Büchern und wissenschaftlichen Publikationen weltweit noch ziemlich vorne, aber … Die für`s Gegenwartsdeutsche verbliebene Wissenschaftssprachsituation hat inzwischen Sprachnischen- und Reservat-Charakter. Globale Kolonial-, Wirtschafts- und Wissenschaftssprache mit über 90%iger Präsenz, teils auch in chinesischen und spanischsprachigen Kommunikationsarealen, ist unstrittig International English (B.Seidlhofer 2003/P.Ferrari 2021).

1d
) Vereinzelt seit den 1950ern (Weinreich 1953), öfter seit den 1980ern und 1990er Jahren und breiter noch im 21. Jahrhundert ist auf verschiedenen Gesprächs- und Tagungsforen der europäischen Sprach- und Kommunikationspädagogik programmatisch von „Mehrsprachigkeit“ (Kloss 1980, Clyne 1980/84/95, Spillner ed. 1990/94, Földes/Roelcke eds. 2022) und mehrsprachigen Settings die Rede.
„Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen stabiler, diglossischer Mehrsprachigkeit, bei der jede der beteiligten Sprachen ihre festen, ständigen und mehr oder weniger ausschließlichen Anwendungsbereiche (domains) besitzt, und einer Mehrsprachigkeit, die Ergebnis eines dynamischen Sprachwechsels ist, bei der die schwächere Sprache von der stärkeren aus einem Anwendungsbereich nach dem anderen verdrängt wird, um zum Schluß zu verschwinden (replacive bilingualism)“; wie von Kloss (p.539) umrissen. Womit Vorteile und Schattenseiten, Sprachkontakt-Phänomene und nicht selten kontrovers interpretierbare Interferenzerscheinungen rudimentär adressiert sind. Mehrsprachigkeitsfragen sind teils auch Assimilationsfragen, emotionale, motivationale, sozialpolitisch brisante und staatspolitische Fragen und nicht zuletzt Migrationsfragen. Es überrascht daher nicht, daß das Schlüsselwort Mehrsprachigkeit von DAAD, Goethe-Instituten, sowie einigen NGOs programmatisch promotet wird. Leider nicht „Free Speech“. Innerhalb der EU wird Plurilingualität als Schlüsselkompetenz gewertet und durch spezielle EU-Maßnahmen gefördert. Die Sprachen-Vielfalt ist in Artikel 22 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Und mit Artikel 342 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union angenommen und in der Verordnung Nr.1 konkretisiert, wie auf einschlägigen EU-Seiten auch verlautbart.
Situationsskizze der EU-Mehrsprachigkeit: Derzeit werden 3 Alphabete und 24 Amtssprachen in der EU verwendet. Regional oder volksgruppenspezifisch gesprochen werden etwa 60 weitere Sprachen. Englisch fungiert auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien aus der EU (31.1.2020) als eine Amtssprache; zumal es in Irland und Malta (beides EU-Mitgliedstaaten) den Status einer offiziellen Landessprache innehat.
Durch wie auch immer zu charakterisierende Migrationsbewegungen einschließlich legaler Migrationskanäle und Migrantenschleusungen sind eine ganze Reihe weiterer Sprachen in die EU gelangt. Nicht leicht nachrecherchierbaren Schätzungen zufolge dürften mittlerweilen an die oder über 170 Nationalitäten bzw. Volksgruppen-Sprachen innerhalb der EU-Grenzen leben.


Weder das mehrsprachige Engagement, noch die plurilinguistische Ignoranz in der Wissenschaftspublizistik und am allerwenigsten die persistierende, angloamerikanische Sprach-Hegemonie sollten unterschätzt werden. Mit Blick auf das beträchtlich romanisierte und gräzisierte und damit in seinen Wortbildungsoptionen sehr flexible, angloamerikanische Englisch als dominierende Welt-Wissenschaftssprache geht es unter zwiespältigen Etiketten à la Diversity, Globalisierung, Internationalisierung nicht nur leerformelartig – vidē Ernst Topitsch 1960 principaliter – verklausuliert und larviert, sondern unmißverständlich um einen präsenten Hegemonie-Anspruch eines Supernationalstaats. Hier: um eine sprachpolitische Hegemonie innerhalb des weltweiten Bildungs-, Medien-, Hochschul- und Wissenschaftsbetriebs.
Unrealistisch und weltfremd wäre es freilich, diese sprachkommunikative Dimensionierung in splendid isolation fixieren zu wollen. Sie weist nicht nur institutionelle Wurzeln auf, sondern fußt auch auf dem internationalen Finanzwesen, der Wirtschaftspolitik, dem britischen Commonwealth ehemals unterworfener Staatsgebiete und kolonisierter Populationen, den global agierenden Mainstream-Medien und der Macht industrieller und militärischer Komplexe. Dennoch können wir die avisierte Centrality of Speech samt ihrer angloamerikanischen Prädominanz nicht etwa auch noch im Licht von aberhunderten US-amerikanischen Militärbasen (vgl. Liste der US-Militärbasen, Wiki passim) round the world betrachten. Obzwar aus kommunikationswiss.-linguistischer Sicht wohl die meisten US-externen, militärischen US-Stützpunkte durchaus auch kultur- und sprachkommunikative Basen mit effektiver, kultur- und sprachpolitisch einflußreicher Infrastruktur – auf dem Transmissionsriemen eines machtpolitisch wie sprachkommunikativ relevanten Suprematieanspruchs – darstellen. Wird das angloamerikanisch und britisch dominierte NATO-Instrumentarium (Terlinden 1999) entsprechend einbezogen, so konsolidiert sich dieser Eindruck. Die angloamerikanische Sprach-Hegemonie trägt seit der WKII-Nachkriegszeit kulturimperiale Züge. Festgehalten sei: aus sprachkommunikationswissenschaftlicher Fachsicht ist dies anders zu beurteilen als aus engagiert-politischer Draufsicht.


Exkurs:
Angesichts der globalen, angloamerikanischen Sprachdominanz wäre es interessant, die Mehrsprachen-Situation innerhalb der USA zu betrachten. Wir können hier leider nur einen Seitenblick darauf werfen: diachronisch weist sie wohl schon ziemlich dramatische Aspekte auf. Viele Details, Schätzungen und Tabellen zur komplexen Situation lebender Sprachen in den USA bieten Statista und Ethnologue (2023). Danach sind 193 von 197 als „bedroht“(endangered) eingestuft, was viele indigene und Indianer-Sprachen betrifft. 49 sind demnach bereits ausgestorben (extinct). Ansonsten werden 3 Sprachen in den USA-Territorien als bestandsstabil betrachtet, obwohl „not being sustained by formal institutions, but it is still the norm in the home and community that all children learn and use the language“(ibidem). Andererseits gelten 34 lebende, nicht-indigene Sprachen in den USA als etabliert. Daß im Süden der USA in relativ großen Populationssegmenten Spanisch bzw. kreolisiertes Spanisch gesprochen wird, stellt im Gesamtbild der weltweit durchgesetzten, angloamerikanischen Sprachdominanz wohl fast schon eine Kapriole dar.


Für den Status quo der deutschen Sprechsprache – entwicklungsgeschichtlich unverkennbar – bleibt, daß – beginnend mit der Römerzeit wie auch in darauf folgenden Geschichtsetappen – die germanisch-deutsche Sprach-Entwicklung hin zur heutigen gegenwartsdeutschen Misch-Sprache erheblich von etappenweise dauerhaft residierenden ausländischen Legionsstützpunkten, Truppenkontingenten und Militärbasen mitbeeinflußt worden ist. Dazu zählt u.a. auch die Franzosenzeit 1792 bis 1815 mit napoleonischen Okkupationsphasen, sowie die Rheinland- und Ruhrbesetzung nach dem I.WK.
Die alliierte Besetzung Westdeutschlands nach dem II.WK dauert – meiner Auffassung nach – bis auf weiteres an, obzwar sie verschiedentlich umdefiniert und umdeklariert wurde. Unverklausuliert bestimmt GG-Art.24 Abs.2.: wonach „der Bund“ [auch künftig] „sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“ kann und „in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen“ wird, „die eine friedliche und dauerhafte“….etc.; ebenso eindeutig auch Artikel 120 betreffend die Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten. Gemäß Art. 139 GG gilt kontinuierlich: „Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt“. Das reizwortartige Nomen „Besatzung“ (mit dem Suffix –ung als Wortbildungsmorphem, das die Substantivierung generiert) ist in der sprachlich-öffentlichen Kommunikation der Mainstream-Medien verschwunden, aber semantisch keineswegs überflüssig geworden.


Eine wirkliche sprachpolitische bzw. wissenschaftssprachpolitische Entscheidungssituation gibt es längst nicht mehr. Sicherlich reicht es nicht, wenn viele print- und webpublizierte angloamerikanische Fachzeitschriften die erforderlichen Abstractsprachen erweitern oder zumindest eine Plurilingualität durch mehr oder weniger ausführliche Abstracts huldreich ermöglichen. In der drastischen Gegenwartsrealität wird dies bereits als relativ fair empfunden.
Beispiel: Im Publikationssegment der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Journals finden sich nur wenige Abstractsprachen parallel zum American English geprägten Science English: z.B. Mandarin-Chinesisch, Japanisch, Spanisch, Deutsch, Französisch, Russisch; ab und an sind auch Abstracts auf Italienisch, Portugiesisch, Bahasa-Indonesia und Koreanisch abgedruckt bzw. webpubliziert. Selbst das gilt keineswegs durchgängig. Verkürzt gesagt: im global dominierenden, angloamerikanischen Publikationsraum tauchen ergänzende ‚Abstract-Sprachen‘ eher wie Glücksblumen auf. Solch eine wissenschaftssprachliche Situation oder wissenschaftssprachliche Zwangssituation bedeutet
Reservat-Charakter für die beteiligten ‚Abstract-Sprachen‘.
Das Gros der Fachzeitschriften im Segment ´Communication, Media Studies, Speech Sciences` wird seit einem halben Jahrhundert konsequent einsprachig auf Englisch publiziert.


1e
) Dieses manifeste, das Gegenwartsdeutsche desaströs bedrängende Wissenschafts-Sprachproblem wird in den deutschsprachigen Hochschul- und Universitätsszenarien, auch bei etlichen privaten Bildungsträgern, durchaus als bedrohlich empfunden. Erinnert sei an den Aufruf Deutsch als Wissenschaftssprache, worin die Präsidenten der Alexander von Humboldt-Stiftung, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, des Goethe-Instituts und der Hochschulrektorenkonferenz für eine mehrsprachige Wissenschaft plädieren und (datiert: 18.2.2009) sowohl für
die Umsetzung der Mehrsprachigkeit als auch für die Sicherung des Deutschen als Wissenschafts- und Kultursprache mehr Geld fordern, bzw. „eine entsprechende finanzielle Ausstattung“. Verlautbarungsjournalistisch getextet:In der Entwicklung neuer Fördermaßnahmen sehen wir die motivierende Herausforderung des Themas“. In short: mehr Kohle, dann wird’s besser. Leider Fehlanzeige. Und wohl eh nicht ernst gemeint gewesen: Denn die Sicherung des Deutschen als Wissenschafts- und Kultursprache rangierte seit der Jahrtausendwende erkennbar hinter dem vorgeblich proklamierten Umsetzungsziel ´Mehrsprachigkeit`.
Und mit wissenschaftssprachlicher Mehrsprachigkeit kann integra mente wohl keine 7100-fache Mehrsprachigkeit gemeint sein, sondern allenfalls eine oligarchisierte, finanziell entsprechend unterfütterte Lingua-franca-Mehrsprachigkeit.

Mehrsprachenpolitisch im Rahmen von Lingua-franca-Kommunikation (Terminus vgl. Nickl 2007, 2022/XX) und je nach Kommunikationsdomäne flexibel ausbalanciert könnte sich der Usus und die Konkurrenzfähigkeit des Transnational German konsolidieren. Crossmedia English, Business English, Global English und Science English als Welt-lingua-franca Nr.1 ist nicht zu entthronen.


 
Nur in der transnationalen und globalen, modularisierten und webvernetzten Form und mit den Funktionen transfersprachlicher Kommunikation spielt das Gegenwartsdeutsche eine erwähnenswerte und respektable Rolle in der globalen Sprachkommunikation: als eine weitere Lingua franca, Zweit- und Drittsprache. Es geht hier nicht um eine ergänzende Ausdifferenzierung einer musealen und längst schon obsolet gewordenen Nationalphilologie. Als transnational und global entwickeltes, mehrfach vermitteltes, sowohl standardisierungsfreundliches als auch normativ-präskriptiv liberalisierungsfähiges und adaptives Selbstregulierungssystem läßt sich das Gegenwartsdeutsche hinsichtlich der anzuwendenden wissenschaftlichen Methoden, beobachtbaren und bearbeitbaren Daten-Corpora interdisziplinär passend in den Kommunikations- und Sozialwissenschaften, oder den Behavioral Sciences, angesichts des experimentellen, noninvasiven, technologischen Methoden-Fortschritts auch in den Humanwissenschaften verankern. Die typisch mitteleuropäisch bedingte, prärogative Situierung im Rahmen deskriptiver Philologien ist ganz und gar nicht zwingend. Gerade dies könnte es Hochschulen und Universitäten in Übersee erleichtern, transnationales Deutsch mit suffizient liberalisierter, moderater Normierung interfachlich zu inkorporieren, angemessen zu situieren und zu pflegen: German Studies im Rahmen von Interdepartmental Committees mit jeweils erwünschter Ausrichtung (Technik, Tourismus, Wirtschaft, Medizin, Natur, Humanities, Geschichte, Künste, Literatur, Medien, Recht, Soziales).

 

2)  Offene Frage bleibt: Wie weit ist die Theory of Collective Identity (Sterbling 2019) auf sprechsprachliche Varietäten anwendbar, wenn wir es bei der transnational und global repräsentierten, gegenwartsdeutschen Sprachkommunikation mit „multiple collective identities“ in dispersen, globalvernetzten, virtuellen German Speech-Language Chats, deliberativen Foren bis hin zu vage umrissenen, diskursiven, überwiegend zwei- und teils auch mehrsprachigen Communities zu tun haben?

 

3) Globales, mehrfachvermitteltes Deutsch als eklektisch komponierte, künftige Leitvarietät der deutschen Sprechsprache

Vorausgesetzt, das globale, medienvermittelte Gegenwartsdeutsch wird die künftige, eklektisch komponierte Leitvarietät der deutschen Sprache, dann wird es nicht unbegrenzt lange mit „Central European Standard German“ identisch sein. Die primär- wie transfersprachliche Gestalt dieses globalen Gegenwartsdeutschen wird dezentral und in globaler Modulationsbreite plurizentrisch konstituiert sein. Insoweit existiert Kontinuität. Besagt aber: deren normative Geltung wird nicht exklusiv in Zentraleuropa bestimmt. Wissenschaftliche Sprachpflege und Verbesserung der Sprachkultur des globalen Gegenwartsdeutsch findet dementsprechend von Adelaide über Barnaul, Kiew, Osaka, Philadelphia bis Windhuk statt. Die Berlin-Mannheimer Dudenredaktion bleibt wohl auch künftig die „maßkrügliche“, halt zunehmend weniger wichtige Drehscheibe.

 

Ad-hoc-Prognose
  Transnationales Gegenwartsdeutsch als flexibele Zweit- und Drittsprache und als Lingua franca bzw. Transfersprache in Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Tourismus zu fördern, allerdings in Morphologie und Syntax komplexitätsreduziert und mit merklich abgespeckter, orthografischer Normierung mit vielen produktiven Lehnbildungen und attraktiver Wortbildungsfreiheit in den jeweiligen, unsteten Hypoformen, das könnte überlebensfähig sein.
Zu erwarten ist eine websprachlich sich deregulierende, liberalisierend vereinfachte Schreibkonvention und sich step by step durchsetzende Rechtschreibungsderivate. Mit regenerierender Praxis der festen, auch oldfashioned deskriptiv-distributionell feststellbaren, wie der flexiblen, sprachlogisch plus rhetorisch-sprechsituativ konstituierten und gesteuerten Genera (Nickl 2021), also einschließlich Genus Commune sowie Epicoenon, Genus Dubium oder Diversimodum. Beobachtbar sind viele Äußerungseinheiten satzübergreifender Art: zu weit über einem Drittel bestückt mit rudimentär satzwertigen Einheiten und nicht immer eindeutig bis zweifelsfrei segmentierbaren Makrosegmentalen Phrasierungseinheiten (Nickl 1974, passim), die kommunikativ fungible Anakoluthe, Ellipsen und andere Satzfragment-Formen transportieren. Daneben medien- und darstellungsformbezogene, partnerversammlungsgerechte Nutzung und repressionsfreie Wahlfreiheit – mit und ohne sachfremd ideologisierte Genderisierung oder cyberfeministische Hysterisierung – zwischen alternativen, verständlichen bis zumutbaren Rechtschreibungsvarianten: kaum überschaubar viele intermediär-koexistierende, variantenreiche Hypoformen über das bislang schon festgehaltene Maß (U.Ammon et al. 2004) hinaus.


 Was sich ins transnationale Deutsch erfolgreich implementiert und global durchsetzt, ist die Norm. Dieses orthografisch-lexikalisch wie orthoepisch-prosodisch moderate Szenarium mit pluralistischer Kodifizierung, effektiv ausgemittelter Phonostilistik und Norm-Toleranzbreite dürfte fürs transnationale Gegenwartsdeutsch aussichtsreich sein, vielleich sogar in entlegeneren Winkeln der Erde.


Dagegen dürfte die Prognose für das exklusiv ethnozentriert zentraleuropäische Gegenwartsdeutsch in Gestalt einer oberflächenphilologisch hyperoptimierten, graphematisch sachfremd verkomplizierten kanonischen Formerheblich ungünstiger ausfallen.
Ein mit genderisierendem Funktionärsjargon durchsetztes Kanzleideutsch für missionierende Oberlehrer
und Orthographie-Enthusiasten, in den Flexionsendungen redundant hyperkategorisiert, zum Teil gegen den Usus (ohne ausreichende Testphasen und empirisch bewertungsfähige Trial-and-Error-Erfahrungen) und gegen die Mehrheit der Sprachteilhaber schulmeisterlich überkodifiziert, überfrachtet mit normativ-präskriptiv unnötiger Verkomplizierung: Derlei pervertiertes Deutsch leistet der Lehrvermittlung einen Bärendienst. Wer sollte sowas schon gern lernen wollen?


Kernhypothese

In der mehrsprachigen Welt der Sprachlichen Humankommunikation existiert keine Chancengleichheit.
Weder quantitativ global noch angesichts der heterogenen, vielfach asymmetrisch beteiligten, miteinander, teils gegeneinander und funktionell zusammenwirkenden Empirien, weder kommunikatorzentriert im individuellen Subjekt, noch interpersonal, noch gruppenspezifisch, noch im Rahmen typischer Areale der medienspezifisch verknüpften Sprachlich-Öffentlichen Kommunikation.


4
) Organische Sprachauffassung und empirisch-heterogene Gegenstandskonstitution

„Nichts gleicht einem Organismus mehr als die menschliche Sprache„… „eine Fähigkeit und Function der geistleiblichen Natur des Menschen“ (Gabelentz 1901: 17). Für menschliche Kommunikation bleibt die kognitiv-kommunikativ Sprechtätigkeit zentral. Segmentierbare Äußerungen basieren auf einzelsprachlich geregelten Sprechbewegungen und auf einer einzelsprachlichen Artikulationsbasis.
Wer etwas wie sagt und mit welcher Schwankungsbreite an Wohlartikuliertheit spielt sowieso meist eine größere Rolle als der profane Inhalt einer Message. Leider ist die kognitiv-kommunikative Sprechtätigkeit nur partiell beobachtbar (afferente und efferente Hörbahnen, Funktionskreise und Verknüpfungskerne im Stammhirn (Dunker 1972, Forssmann/Heym 1975/91, Schünke/Schulte et al. 2006, Seikel/Drumright/Hudock 2020, Hoit/Weismer/Story 2022, Gonzales 2023). Zerebral zuzuordnende und sprechsprachlich eindeutig differenzierbare, diskriminierbare und somit zweifelsfrei identifizierbare und hinreichend segmentierbare Vorgänge sind trotz Fortschritten (PET/MRI-Methodologie) bislang nur sehr eingeschränkt – für nichtmedizinische Erkenntnisinteressen – objektivierbar (vgl. z.B. Zacà/Corsini/Rozzanigo et alii 2018). Zumal, wenn wir von ineinander verwobenen, korrelativen Funktionskreisen ausgehen. Die kognitiv-kommunikative Sprechtätigkeit ist in mehreren relevanten Empirien leider nur rudimentär meßbar und artefaktenanfällig interpretierbar, was Befunde der sinnbezogenen Satzwahrnehmung schon vor langem zeigten (Bagley 1900/01, McElree 2000, Goldrick/Ferreira/Miozzo eds.2014).
Exhaustiv darstellbar sind beliebig reproduzierbare, akustische Daten (Fourier-Analyse mit Varianten). Bei anderen Datenbereichen – schwierig skalierbare neurophysiologische Vorgänge, psychophysiologische Items, auditive Wahrnehmungen, sowie form- und sinnspezifisch kategorisierte oder zugeordnete Segmente und korrelative Verknüpfungsmodi der Sprachlichen Humankommunikation – können wir bis auf weiteres nicht exhaustiv analysieren. Es bleibt stets ein Rest. Ist eine Binsenweisheit, sollte aber in Erinnerung gerufen werden.



Die kommunikationspädagogisch, sprachdidaktisch, rhetorisch interessierenden Datencluster und Korrelationen, z.B. psychophysiologische Argumentationsmuster, argumentationsbezogen eruierbare Korrelate bestätigender oder bezweifelnder Art, Umgestimmtwerden, die dafür zu diskriminierenden, identifikatorisch zuzuordnenden Daten, Segmente und Zeitverhältnisse kortikaler und subkortikaler Repräsentationen der multimodalen Gehirnintegration, die bei Destruktion, Innovation, Konfirmation und Modifikation von Argumentationen auftreten: all dies können wir weder in entsprechendem Umfang empirisch gesichert zuordnen, noch beliebig reproduzierbar im Kommunikator messen.
Das realempirische Zusammenspiel heterogener Datencluster, hemmender oder intensitätssteigernder Vektoren und Funktionskreise von Koartikulation (Menzerath/de Lacerda 1933/34) über das Silbenniveau hinaus im Hinblick auf philologisch kategorisierte Partes orationis (Konstrukte, Redeteile, Wortgruppen), in der Akzentologie wie in der Ausspracheweise, Onomatopöie oder Stimmungsmimik (Gabelentz, p.377), oder in den rhetorisch und sprachpragmatisch relevanten Makrosegmentalen Phrasierungseinheiten mit intermediärem Status (differenzierbare Prosodik-Level, phasenverschoben begleitende bis ikonische Gestik und Mimik), Kognition, Kommunikationsverarbeitung, Reiztransformationen, Memoria-Anteilen, Modalitäten, Repräsentationsniveaus und etwaigen Einstellungsvarianten-Änderungen bis hin zu postulierbaren Lerneffekten und dem schier apriorischen ‚Gap‘ zwischen Forschungsbefunden und Lehrvermittlung (Montgomery/Smith 2015), all dies ist keineswegs hinreichend aufgeklärt (Grodzinsky 1996, Nickl 1996, Moore 2007, Jurafsky/Martin eds. 2023).
Etliche konstitutive Empirien der sprachlichen Humankommunikation sind mit dem sozialwissenschaftlichen Methoden-Instrumentarium nicht erforschbar.


Wie die teils disparaten, heterogen zueinander konstituierten Empirien der menschlichen Sprechsprache – schnelle Oberflächenperformanz/wahrnehmbare Ereignisse/multimodal bedingte Koartikulation, phonatorisch-prosodische Steuerung samt rhythmischer Kodierung/apperzeptive Selektions- und Zuordungsoptionen/akustisch-physikalische Daten/neurophysiologische Funktionsgeflechte, Kausalitäten, Transformationen, Zeitverhältnisse/transphänomenale Vorgänge/intellektuelle Dimensionierung/interpersonale bzw. soziale In-vivo-Orientierung/phänomenale bis transzendentalhermeneutische In-actu-Aspektierung/Speech Production & Comprehension –  wie all diese Empirien datenbasiert, evidenzbasiert und kognitiv-kommunikativ tatsächlich fungibel zusammenpassen, dies zu ermitteln stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar.


Schon vor dem WK II und danach umso mehr zweifelten manche Phonetiker (Panconcelli-Calzia 1947) an der philologisch einfallsreichen Distinctive Feature Theorie und an den angeblich so schön Minimalsegment-typisch artikulierten, diskret aneinandergereihten “Lautketten”, die man weder suprasegmental (Pike 1943, Heike 1969, Lehiste 1970) noch auf Connected Speech Level zweifelsfrei abgrenzen und identifizieren konnte (Catford 1977/82); bis heute übrigens. Experimentell kontrollierte, isolierte, kontextfreie Einzellaut- bzw. Minimalsegment-Artikulation und Silbenproduktion in CVC-Gestalt tendenziell ausgenommen. Die experimentell schwierige, kontroverse Diskussion dazu können wir hier nicht einblenden. Von „Lautketten“, „systematisch geordneten Lautketten“ (Elst 1990: 9) und segmentalen, sytaktischen Strukturen, „die formal durch Lautketten realisiert sind“(p.12), war seinerzeit nicht nur in der Erlanger Linguistik die Rede. Doch zwischen symbolsprachlich darstellbaren, orthographisch notierbaren Datenmengen unserer Sprechsprache und Speech Signals, Signalphonetik, Signalrhetorik existieren keine wirklich analytischen Beziehungen (Tillmann 1993), allenfalls ungesicherte, philologisch motivierte Kategorisierungen und Zuordnungen.
Wie sollte man in einem akustischen Datencluster gesprochener Sprache beispielsweise irgendein ein Gleitlaut-Glissando als „generisches Maskulin“ segmentell kategorisierend nachweisen und von seiner Umgebung diskriminierend identifizieren?

Bei der ‘augenphilologischen’ Analyse alphabetisierter, kategorisierter, symbolsprachlicher Notationen, Text-Elaborate bzw. symbolsprachlich notierter Repräsentationsniveaus des ‘mittelbaren oder mehrfachvermittelten Sprechens’ bleibt stets ein ‘Rest’, der noch weiter ergänzungsbedürftig zu klären, zu verstehen und teils analytisch standardisiert mit realsystematisch einschlägigen Methoden, oder  hermeneutisch-kritisch zu interpretieren ist. Von diesem humankommunikativen ‘Rest’ leben und zehren nicht nur DaFF und deskriptive Linguistik, auch Kognitions-, Literatur-, Medien-, Musik-, Sozial- und Theaterwissenschaften, ebenso Journalistik, Politik und Philosophien, Rhetoriken und Theologien.

 


5
) Lernen, Lehren, Forschen, Entwickeln und Anwenden in der Mehrsprachigkeit vollzieht sich individuell, interpersonal und interdisziplinär

Lernen und Lehren in der Mehrsprachigkeit ebenso wie darin situiertes Forschen, Entwickeln und Anwenden vollzieht sich zuallererst im Konnex mit menschlichen Individuen und ihren ontogenetischen Identitäten: individuell, interpersonal und interdisziplinär. Im Kontext von interdisziplinär Angewandter Linguistik, Deutsch als Fremd- und Fachsprache, Zweitsprache, German Studies, Interkultureller Kommunikation, Journalistik, Medienpädagogik und Pädaudiologie, Phonetik, Psycholinguistik, Humankommunikationswissenschaften und Rhetorik, ebenso wie in den verschiedenen Nationalphilologien. Dies läßt sich weder thematisch noch vom technologischen Support her auf eine exklusive Nationalphilologie noch auf restriktive Medienvermittlung einschränken. All dies hängt vom technologischen Fortschritt ab. Weder ist eine museale, pedantische, weltfremde Trennung von Cognition and Communication, Audiologie, Performanz-Grammatik, Argumentationslehre und Sprachlogik, Phonetik, Psycholinguistik und Rhetorik in der intellektuellen und sozialen Humankommunikation aufrecht zu erhalten, noch wär das analytisch-praktisch sinnvoll (Apel 1973/II, Roy 1999, Vance 2008, Nickl 2016/21).

Falls in absehbarer Zeit geeignete Brainchips soweit entwickelt sind, daß sie als upgradefähige Sprachprothesen fungieren – in der Applikation so simpel und noninvasiv wie Hörprothesen – könnten wohl nicht nur einige, sondern etliche kommunikatorspezifische Defizienzen und Ungleichheiten effektiv abgebaut oder kompensiert werden. (Vgl. z.B. Anumanchipalli/Chartier/Chang 2019). Was sollte dagegen sprechen, wenn damit eine individuelle Kompetenzerweiterung, Performanzoptimierung und angemessen garantierte Wahlfreiheit verknüpft wäre?

 


6
) Notiz zur Idiolektalen Interkulturalität. 

Interkulturelles Forschen, Lehren und Lernen kann in Friedenszeiten wohl kaum unter Mißachtung, Unterdrückung oder Verbot von Nachbarsprachen, im sozialkommunikativen Usus ritualisierten, transnationalen Sprachkontakten und Gewohnheiten, oder an den individuellen, d.h. an den idiolektalen, zwei- bis mehrsprachig konstituierten Performanzsystemen der real beteiligten Kommunikatoren und Volksgruppen vorbei angemessen, empathisch und erfolgreich betrieben werden. Unverbrüchlich zählt das Erlernen von Nachbarsprachen und Transfersprachen zu den heutigen, europäischen Paidèia-Tugenden (Spillner ed.1994, Nickl 2022: XIX). Fraglos basiert dies auf  der individuellen Artikulations- und Redefreiheit. Die Centrality of Speech der Humankommunikation läßt sich weder ohne ihre psychophysiologische Kohärenz und ihre transphänomenalen Empirien, noch ohne ihre rhetorisch-politischen Dimensionierungen hinreichend verstehen.

 

Aspekte zur Bedrohungslage der Redefreiheit in der Ukraine (Exkurs)


Zur Bedrohungslage der Chat- & Meinungsfreiheit, Presse- & Redefreiheit in Europa zählt nicht nur ihre mehrsprachig sortierte, EU-intern durch einige EU-Kommissionsinitiativen medienpolitisch sowie supervisionär motivierte und inquisitiv angemaßte Problemgenerierung. Abgesehen von transatlantischer Einflußnahme interessierter Supermächte spielt auch die EU-externe, osteuropäische Entwicklung und Problemakkumulierung zumal im »postsowjetischen Raum« seit dem Zerfall der UdSSR - in Weißrussland, der Russischen Föderation und der Ukraine - eine tragende Rolle bei der Inszenierung europäischer Probleme der Meinungsfreiheit und Sprachlichen Kommunikation. Beispiel Ukraine:

Ohne zurückgreifende Arkanum-Daten und zeitgeschichtliche Analysen der Etappen ukrainischer Staatlichkeit und bloß mit externem Blickwinkel läßt sich die konfliktentscheidende Ukraine-Genese wohl kaum angemessen einschätzen. Aus allgemein zugänglichen Datenkonglomeraten und Quellen-Literatur können hier nur einige Punkte herausgegriffen werden. 
Okraina (russ.) meint Randgebiet des Russ. Kaiserreichs (bis 1917). Zur Lenin-Zeit gelangte die Ukraine erstmals zur realen Staatlichkeit. Noch 1939 bekräftigte Лев Троцкий in seinem Ukraine-Statement aus Coyoacán/Mexico-City: eine "inbrünstige Verehrung von Staatsgrenzen ist uns fremd". Des Weiteren gehe ich davon aus, daß die Staatlichkeit der Ukraine auch während des Reichskommissariats (RKU) 1941-1944 nicht untergegangen war. Haupttendenzen der Ukraine-Entwicklung im 19. und 20.Jahrhundert erörtert Volodymyr Potulnyckyj 1997; eine deutschspr. Gesamtdarstellung zur UA-Geschichte bietet Andreas Kappeler 2019. Dies können wir hier nicht aufrollen. Neuere Lineamenta zum Spannungsfeld Russland–Ukraine habe ich im Rezensionsessay zu Scharnagl 2015 und Wipperfürth 2015 berücksichtigt (März 2016). Aktuell sei auf Helmut Roewers Ukraine-Zwischenbilanz (2024) und John Mearsheimers Resümee zur UA-RU-Kriegsentstehung (2024) verwiesen. 

Seit der Präsidentschaftsperiode des flexiblen Exkommunisten und Realpolitikers Viktor Juschtschenko/Віктор Ющенко (Jan.2005-Feb.2010) wurde in der Ukraine landesweit-zentralstaatlich eine forcierte wie umfassende Ukrainisierungspolitik betrieben. Russisch wurde zurückgedrängt und Ukrainisch zum ethnischen Assimilations- und Identifikationskriterium profiliert, nicht nur im Bildungswesen interkulturell inszeniert oder nur sprachpolitisch instrumentalisiert. Auch die mittlerweilen kontroverspublizistisch freigelegten Wurzeln zwischen Ukrainisierung versus Russifizierung und die kriegerisch fortentwickelte Konfrontation seit 2014 stellen kein regionalpolitisch isoliert rekonstruierbares Phänomen dar: Es zeichnete sich schon etliche Jahre vor dem Eingreifen regulärer russ. Truppen (Februar 2022) durch einige, nach kultur- & staatspolitischer Autonomie strebende, russ. Sezessionsbestrebungen östlicher und südöstlicher Oblaste/Oбласті ab. Und war mit dem teils transatlantisch (nicht ohne Verwicklung britischer, US-amerikanischer und wohl auch einiger europäischer Intelligence Dienste), teils de facto nationalukrainisch-revolutionär zustandegekommenen UA-Coup d’état oder UA-Systemchange von 2014 virulent geworden. Die aufgepfropfte Angloamerikanisierung vor allem der West- und Zentralukraine nach der Jahrtausendwende ist dabei einzukalkulieren. Innerhalb zweier Dekaden ist die zentralistisch durchgesetzte Präferenz für International English und Business English als neuinstallierter Bildungs-, Transfer- und Eliten-Sprache bereits manifest geworden.

In der Rückblende spielen bildungs- und kommunikationsgeschichtliche Entwicklungstendenzen seit dem 18.Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ein Paradebeispiel stellt die nlat. Prokopovič-Rhetorik (Kijoviae 1706; vgl. R.Lachmann ed.1982) im Konnex mit dessen bildungspolitischen Ambitionen und den petrinischen Reformen dar. Ohne dies en détail resümieren zu können, sei erwähnt, daß es dabei nicht etwa um die Unterdrückung des Ukrainischen ging, eher schon um ein gewisses Zurückdrängen des wohl als überrepräsentiert empfundenen Polnischen. Übersetzungsübungen zwischen Nlat. und Kirchenslawisch anstatt zwischen Nlat. und Polnisch wurden als Fortschritt angesehen. Als leitkulturelle Bildungsbasis fungierte die teils humanistisch geprägte, vor allem jesuitenvermittelte Lateinkultur verschränkt mit der byzanth.-griech.-orthodoxen Kultur einschließlich einer gewissen interkonfessionellen Toleranz (anders in vorwiegend polnisch-katholischen Gebieten). Die Jesuitenkollegs und Schulen mit Inhouse-Language Latein dienten der Allgemeinbildung, nicht exklusiv der Klerusausbildung: z.B. in Lemberg/Львів/Lwów, auf der Burg Bar/Бар und in Kamjanez-Podilskyj/Кам'янець-Подільський. Auch Arme und Bauernsöhne wurden aufgenommen. Für das Gros der als ukrainisch apostrophierbaren Analphabeten und sonstigen, areal-dispers vertretenen Volksgruppen (z.B. Polen, Belarussen) gab es jedoch keine Lehrer. Vertraut man verstreuten Hinweisen aus der mehrsprachigen Sekundärliteratur, dann dürften die als ukrainisch titulierbaren Volksgruppen der Zentral- und Westukraine im 17. und 18.Jahrhundert prorussisch und latent bis offen antipolnisch eingestellt gewesen sein. Evidenzbasierte Daten fehlen. Hypothetisch läßt sich erwägen, daß sich das erst unter Katharina II. im letzten Viertel des 18.Jahrhunderts geändert haben könnte. Wobei die administrative und kulturelle Russifizierung des volksgruppengemischt-uneinheitlichen, ukrainischen, teils interethnisch-russ. und vehement-unabhängigkeitsbewußten Kosakenadels (ab 1775), die gesetzliche Einführung der Leibeigenschaft 1783, sowie die Tyrannei- & Terrorphasen von Grigorij Potjomkin (Григо́рий Потёмкин-Таври́ческий) in den im Süden hinzugewonnenen Gebieten "Neurussland"/Новороссия/Noworossija motivierend für Einstellungsvarianten-Änderungen gewesen sein dürften. 

Nochmals zu Prokopovič, einem überragenden Kultur-, Orthodoxie- und Rhetorik-Repräsentanten einer Zeit, in der bei den wenigen Bildungseliten in Kiew und Moskau relativ hohe Freiheitsgrade herrschten und wohl auch eine gewisse interkulturelle, lingua-franca-vermittelte Kreativität samt Europäisierungsbereitschaft zu verzeichnen war: der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts. Sobesehen eine der glücklichsten Etappen im russisch-ukrainischen "Verhältnis".
Feofan bzw. Theophan Prokopovič/auch: Елеазар Прокопо́вич, bedeutender Kirchenfürst, Reformpolitiker (das „Geistliche Reglement“ von 1721), kirchenpolit. Publizist, Prediger & Politprediger, Rhetoriker (Autor & Lehrvermittler), Dichter, Kiewer Akademieprofessor, 1718 Erzbischof von Pskow/Pleskau, 1724 von Nowgorod, 1721 Vizepräs./1726-1736 Präs. des Heiligsten Regierenden Synods (Святейший Правительствующий Синод), einer der einflußreichsten Berater des Zaren Peter des Großen, war gebürtiger Ukrainer, ukrainischer Muttersprachler und Mehrsprachler, 
der auch auf Polnisch gepredigt hat. Prokopovič war nicht nur byzant.-griech.-orthodox geprägt, sondern teils auch ciceronianisch, christl.-humanistisch und protestantisch beeinflußt, neigte dem Sola scriptura-Prinzip zu und stellte die Textüberlieferung über die Kirche und ihre Traditiones (vgl. von Rimscha 1970: 312). Sein Prediger-Vorbild war das überlieferte Chrysostomus-Imago in pragmatisierter Gestalt (Prokopovič-Rhetorik 1706, Buch IX et passim). Daß die noch zur Брежневы-Zeit von Šinkaruk et alii (eds.1979) in Kiew erschienene, ukrainische Übersetzung der Prokopovič-Rhetorik keine Predigttheorie enthielt, seine im Kontext petrinischer Reformideen aufgeklärt pragmatisierende, moderat säkularisierende, persuasive Oratio-politica-Auffassung einfach weggelassen wurde, bleibt signifikant. Auch im Digitalisat ersichtlich http://litopys.org.ua/procop/proc1.htm
Ein weiteres, instruktives Beispiel zur Lingua-franca-Konkurrenz und plurilingualen Sprachensituation der Ukraine liefern die neukirchslaw.-philosophischen Dialoge und Traktate von Григо́рій Са́вич Сковорода́/Grigorij Savvič Skoworoda (gest.1794) aus dessen dritter Lebensphase. 

Sicherlich wurde das Ukrainische im 18.Jahrhundert nicht als Bildungs- und Transfersprache betrachtet. Sondern Neulatein und Byzantinisch-Griechisch standen in Konkurrenz zum Kirchenslawischen bzw. Neukirchenslawischen inkl. russ. und ukr. Einschlüsse. Soweit man das kulturelle Niveau in heute ukrainischen und vormals polnisch dominierten Arealen - westlich/nordwestl. des Tataren-Chanats und weiten Gebieten der aggressiv-autonomen Saporoger Kosaken am Dnjepr in Sitsch/Sič/Січ/Сечь - trotz defizitärer Datenlage charakterisieren kann, war es bescheiden, uneinheitlich, an einigen Orten mit eigenständiger Entwicklung, nach Autonomie/Selbständigkeit strebender Bevölkerung und mancherorts mit inkorporierten Bildungskomponenten und gewissen Europäisierungstendenzen ausgestattet. Die 1765 im Todesjahr Lomonossows (Михаи́л В. Ломоно́сов) erklärte Präferenz für Russisch als Unterrichtssprache an der Mohylianka, der Kiewer Mohyla-Akademie - zweifellos ein administrativ- und bildungspolitischer Schachzug - ist mE im pragmatisch-orthodoxen und antipolnisch-staatspolitischen Kontext sowie im Wirkungskreis der petrinischen Reformen zu verstehen. Dementsprechend dürfte dies als transfersprachlich zweckmäßig einzustufen sein. Dies entsprang keiner antiukrainischen Ranküne.- 

Festzuhalten bleibt: Die politisch organisierte Situierung der interkulturellen UA-Bürgeridentität sowie die Bildungs-, Eliten- und Transfersprachenfrage, auch deren wirkungsgeschichtliche Konstitution, stellt ein existenzielles Essential für die UA-Staatlichkeit dar. 

Angesichts der Fülle an Kontroverspublizistik unterschiedlicher Güte zur aktuellen UA-RU-Konfliktlage (z.B.: Kulyk 2010, Holm 2022, Schneider 2022, Rzheutska 2023, Ivanenko 2023) sei ein kaum umstrittenes Essential einbezogen: Im Licht der UN-Menschenrechts-Deklaration (Resolution der Generalversammlung, 10.Dez.1948, RES/217 A III, hier: Art.17-21) darf keine lebende Einzelsprache, auch keine Lingua Franca/Transfersprache entrechtet, eliminiert oder diskriminiert werden. Passiert sowas staatspolitisch, dann findet ein Sakrileg statt - sowohl kommunikationswissenschaftlich-linguistisch betrachtet als auch in rhetorisch-systematischer Hinsicht (Nickl 2023: 43). Selbst dann, wenn es konfliktstrategisch oder akutpolitisch opportun erscheinen mag. Existentiell beschnitten wird dadurch das informationelle, individuell-persönliche Selbstbestimmungsrecht. Gleichfalls, wenn Sprachkommunikation, Literatur, Musik und Konfession/Religion einer staatlich selektierten Interethnie oder Volksgruppe unter welchem Vorwand auch immer als obsolet eingestuft, entrechtet, unterdrückt oder verboten werden. Die Bedeutung von Sprachen sollte nicht politisch unterbelichtet oder unterschätzt werden: “It is the preservation of invaluable wisdom, traditional knowledge and expressions of art and beauty, and we have to make sure that we do not lose this” (L.Montiel 2016, UN DESA). Erinnert sei in diesem Kontext an den Internationalen Tag der Muttersprache (21.Feb.), den Europäischen Tag der Sprachen (26.Sept.) und den Internationalen Tag des Übersetzens bzw. Weltübersetzertag (30.Sept.), im deutschsprachigen Kommunikationsraum auch Hieronymustag der Übersetzer, Dolmetscher und Terminologen genannt. 

Als schwerwiegend dürfte die weitgehende Außerkraftsetzung der Menschenrechtscharta in der Ukraine vom April 2024 einzuschätzen sein. Knapp und kursorisch berichteten die Euronews darüber: 
de.euronews.com/my-europe/2024/04/29/kiew-setzt-grundrechte-nach-eu-menschenrechtscharta-ausser-kraft Ansonsten scheint dieses Topic in den etablierten Mainstream-Medien eher übergangen bis verschwiegen zu werden. Daten/Fakten zur Außerkraftsetzung der Menschenrechtscharta in der Ukraine sind auf betreffenden EU-Seiten nachlesbar. 
Englische Version: https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list?module=declarations-by-treaty&numSte=005&codeNature=10&codePays=U 
Französische Version: https://www.coe.int/fr/web/conventions/full-list?module=declarations-by-treaty&numSte=005&codeNature=10&codePays=U 
Die folgende Auflistung ist unvollständig. Für die hier interessierende Centrality of Speech Communication sind betroffen: 
▪️das Brief- und Postgeheimnis, ebenso Telefongespräche; 
▪️die Nichteinmischung in das Privat- und Familienleben; 
▪️die individuelle Bewegungsfreiheit sowie freie Wahl des Wohnorts; 
▪️das Recht auf Gedanken- und Redefreiheit und 
▪️die freie Meinungs- und Glaubensäußerung, sowie das Recht, Informationen zu sammeln, zu speichern und zu verbreiten: 
das ▪️Recht auf Informationell-intermediäre Selbstbestimmung einschl. Zugangs- und Nutzungs-Freiheit zu undurchschaubaren, kontrovers-publizistischen Gemenge-Lagen, nonkonformistischen Meinungsangeboten und Realitätskonstruktionen. Was ebenso die Freiheit zu politisch evtl. unerwünschten, ukr.-russ. kollaborativen, vermittelnden Standpunkten einschließt. Sodann 
▪️die Rechte zur Abhaltung von Versammlungen, Kundgebungen 
und ▪️die Durchführung von Streiks, 
zudem ▪️das Recht auf Demonstrationen. Außerdem sind 
▪️Wahlrechte auf verschiedenen Wahlsystemebenen betroffen.
▪️Oppositionelle Parteien, "prorussische", auch pro-kulturrussische und oder dezidiert antizentralistisch-föderale Parteien, sind seither (drei bereits 2015) in der Ukraine verboten worden. Vgl.z.B. Baha Kirlidokme in Frankfurter Rundschau, 4.4.2022: fr.de/politik/kritik-an-selenkyjs-verbot-unliebsamer-parteien-91457194.html ; Deutscher Bundestag / Auswärtiges — Antwort — hib 120/2023 in den Parlamentsnachrichten vom 17.2.2023: bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-934816 .
Daß außerdem das▪️KDV-Grundrecht schon seit längerem in der Ukraine betroffen bzw. eklatant verletzt ist, also nicht etwa nur in Belarus/Weißrussland und der Russischen Föderation, muß hinzugefügt werden: siehe Details und Erläuterungen von EBCO, WRI, Internationalem Versöhnungsbund und Connection e.V. auf de.connection-ev.org/article-3974 
Insgesamt betroffen, gravierend lädiert bis faktisch ausgesetzt durch die o.g. Suspendierung relevanter Teile der Menschenrechtscharta in der Ukraine vom April 2024 dürften wohl die Artikel 30–34, 38, 39, 41–44, 53 der Verfassung der Ukraine sein, siehe: verfassungen.net/ua . 
Besagt: Nicht-systemaffirmative Kommentare, nicht-politsystemkonforme Meinungsangebote, z.B. präsidialbüro-kritische Recherchebefunde oder mehrseitig-orientierte, kritisch-vergleichend problematisierende Kriegsberichterstattung etc. können seither in der Ukraine als Landesverrat oder einfach als propagandistische "Desinformation", UA-Staats- oder Regierungs-Diffamierung, Delegitimierung, z.B."prorussische Putin-Propaganda", subversive "Russlandnähe", UA-Destruktionsstrategie usw. desavouiert oder drakonisch geahndet werden. 
Seit dem Systemchange von 2014 und restriktiver seit dem Eingreifen regulärer russ. Truppen 2022 - mit plausibilitätsheischendem Hinweis auf Kriegszeit - werden vor allem regimeloyale Gesinnungsbekundungen und verlautbarungsjournalistische Elaborate geduldet und protegiert. 
Die weltanschauliche Neutralität eines aufgeklärten, europäisierten, konstitutionell gesehen modernen Staates wurde über Bord geworfen. 
Nicht nur lehnworttheoretisch limitiert, läßt sich kontextuell erschließen, wieso Citoyen im Ukrainischen bis auf weiteres ein Fremdwort bleiben dürfte. Davon abgesehen sind m.M.n. in der Ukraine nach wie vor zwei auseinanderzuhaltende Herrschafts-Dominanzebenen, bzw. Herrschaftsregulierungs- und Machtoptimierungsdomänen ausschlaggebend: Die "alte Riege" der konfliktscheuen Oligarchen mit gut funktionierender Kommunikations- und Korruptionskultur. Zudem die neokonstitutionell-parlamentarisch Repräsentierten, die massenmedial sichtbar wahrnehmbaren Polittransformierten, die konflikt- und risikofreudigen "Systemchange-Gewinner" und Neu-Etablierten, darunter auch allerlei Hasardeure. 

 Mit alledem läßt sich aus persuasionstheoretischer Sicht dauerhaft wahrscheinlich keine ausbalancierte, stabile Massenloyalität rekonstituieren. Ein Politsystem muß dies jedoch permanent leisten können. Einzuräumen ist freilich, daß es nur wenige, hinreichend gesicherte Ergebnisse der empirischen Persuasionsforschung gibt. Diese sind vor allem im angloamerikanischen Bereich zu verorten. Soweit man den Kontext von Persuasion Research Results der 1940er-1990er Jahre bis zur Jahrtausendwende (Nickl 1998/99) mitberücksichtigt und auch neu aufbereitete Ansätze im gegenwärtigen Forschungsdesign kursorisch einbezieht - en.wikipedia.org/wiki/Persuasion stellt mE einen brauchbaren Einstieg dar - dann sind mehrseitige, kontradiktorische, pluralistische Meinungspräsentation und damit korrelierende, komplexe psychosoziale Verarbeitungsaspekte in einer Atmosphäre wahrgenommener Wahlfreiheit für politische Persuasionserfolge entscheidend. Zwanghaft unifizierende Umgebungsbedingungen und homogenisierte, gleichgeschalte  Nachrichten- und Meinungsmix-"Angebote", affirmativ vorsortierte, herrschaftskonforme MixInfo-Präsentationen - z.B. während des II.WKs in Deutschland: ohne verbotene Feindsender, ohne BBC und Radio Moskau - vermögen das nicht zu leisten. 
Auch in der heutigen, parteienoligarischen und digitalisierten Design-, Stimmungs-, Medien- & Wahrnehmungsdemokratie erscheint verfassungswidrige Medienzensur mehr als nur problematisch; gemeint ist: ohne Sed-Contra, ohne fundierte Interpretations- und Realitätskonstruktions-Alternativen, vulgo ohne prärogativ angeprangerte "Desinformation"(? tendenziell unseriöse Kategorie, leitmedien- und mainstreamabhängig, vgl. Krikun/Baulina 2022), z.B. ohne RT-TV (wegzensiert) und evtl. chatmoderierte "Pro-Putin-Progaganda", dafür jedoch BBC- und CNN-inkludiert. Angesichts solcherlei Propaganda-Konstellation ist anzumerken: Ohne Audiatur-et-altera-pars gerät die Herstellung stabiler Massenloyalität zur Zirkusnummer. Die plural strukturierte Medien-Wahrnehmungsdemokratie transformiert sich weiter. Komplexe Medienkontroll-Mechanismen werden implantiert und es zeigen sich Charakteristika von populistischer Dompteurdemokratie. 
Dessenungeachtet sind aktuell wieder zum Forschungsgegenstand erhobene Phänomene der Persuasionsresistenz (resistere alicuius persuasioni) seit der mittellat. Hochscholastik des 13.Jahrhunderts in Europa bekannt, durch Disputationsmitschriften belegt, sowie in verläßlich edierten Quaestionen und Traktatabschnitten nachweisbar (Nickl 1985: 32). Resistance to Persuasion ist kein von der Kommunikationssoziologie des 20.Jahrhdts. neu entdecktes Phänomen. 

In summa: Da inzwischen wesentliche Teile der Menschenrechtscharta in der Ukraine außer Kraft gesetzt sind, die weltanschauliche Neutralität suspendiert und die republikanischen Tugenden marginalisiert wurden, demzufolge das für die Meinungs- und Pressefreiheit zentrale Essential Audiatur-et-altera-pars für den öffentlichen Diskurs erheblich paralysiert erscheint, mithin Citoyen im Ukrainischen ein Fremdwort darstellt, läßt sich die Frage, welches Menschenbild, welches Bildungs-Imago und welche konkreten oder mutmaßlichen Westlichen Werte denn in der Ukraine verteidigt werden (sollen), nicht schlüssig beantworten. Dessenungeachtet existieren in der Ukraine nach wie vor divergierende bis inkommensurable Volksgruppen-Mentalitäten, w.z.B. volksgruppengeschichtlich tradiert bei weitläufig verzweigten Nachfahren der vom Selbstverständnis her unbändig autonomen Saporoger Kosaken vor allem links des Dnjepr. Mit top-down-zentralistischer Unterordnung nach Kiew oder neuerdings wieder nach Moskau dürfte das basal interethnisch-ukrainische Volksgruppen-Inkorporierungsproblem in staatliche Bandagen nicht zu lösen sein. Wesentlich aussichtsreicher wäre wohl faire, föderal-konstituierte, nicht-derangierende, nicht-subordinierende, also wirkliche interkulturelle Interferenzpolitik. 

 

7) Streiflichter des Machtkampfs um digitale Einflußdomänen, Kontrolloptionen und Regulierungsmodi: Ablehnung des AI-Acts der EU

 

7a) Gemischte Motivationen von Usern und Kontrollgelüste von Fachleuten und Politikern, angefangen von forciert überzeichneten Sicherheitsbedürfnissen bis hin zu politisierter Cancel-Culture und kaum kaschierten Zensuransprüchen, bürokratisch-zentralistische EU-Kommissions- und Kontrollinstrumentarien – siehe Entstehung & Etappen des monströsen EU AI-Acts bzw. der EU-Regulation 2024/1689 samt Addenda – allzu willfährige Kooperation der meisten nationalstaatlichen EU-Mitspieler, u.a. auch der bundesdeutschen Regierung, vgl. Aszódi/Spielkamp 2022) zur Einschnürung und Gängelung des freien, logisch mehrwertigen, reflexionslogisch oszillierenden, in gewisser Hinsicht rhetorisch wahrheitsindifferenten Info-, Nachrichten- und Meinungskorridors, all dies entwickelte sich schubweise und zirkulierte schon jahrzehntelang, spätestens seit 2002. Seit 2006 z.B. die transnationalen Kontroversen um die „Vorratsspeicherung von Daten“ und die anlaßlose, generell unnötige „verdachtsunabhängige Protokollierung“ allgemeiner Verbindungsdaten (vgl. Nickl 2010/11). Freilich waren das nur regionale Aspekte eines global beobachtbaren, kommunikationspolitischen Phänomens und globalen Machtkampfs um digitale Einflußdomänen, effektive Beeinflussungsmodi, Kontroll- und Zensuroptionen, sowie implantierungs- und durchsetzungsfähige Regulierungsmaßnahmen (Andersen/Higdon/Macek eds.2024): vgl. ebenso die von Bradford 2023 offerierte, makroökonomische Zusammenschau. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hinzugefügt: hier kann keine Trend-Einschätzung mutmaßlich globalökonomischer Adaptionen oder als weltweit postulierter, Digital-Business-basierter Wirkungen der EU eingearbeitet werden, d.h. kein etwaiger „Brussels Effectnach Anu Bradford (2012/21 et passim). Perspektive bleibt hier die Centrality of Speech Communication im Kontext von EU-Bureaucracy censoring AI & Digital Information.

 

Daß sich in digital aufbereiteten Chat-Formaten und entsprechenden Foren mancherlei fintenreiches, scheinlogisches Argumentieren de Modis Opponendi et Respondendi auffinden läßt und eine gewisse publizistische Trugschluß- und Jonglierkunst stattfindet und daß sich in soundsovielen zweifelsfrei belegten Beispielen despektierlich-frivoles bis formal in rechtlichen Grenzbereichen operierendes, gesellschaftskommunikativ effektives, aber maßloses Disputieren manifestiert, hie und da geradezu Ungeheuer an Irrlehren und organisierte Indoktrinationsabsichten auftreten, daß sich larvierte, eher subversive Marionetten-Figuren in alternativen wie in etablierten Medien einnisten können – ohne daß weder das Intellektuelle noch das Soziale Zeitgespräch gleich medienspezifisch zusammenbricht -, all dies dürfte zumal für rhetorikgeschichtlich Informierte wohl keine Überraschung darstellen. Vidēte Lambert Marie de Rijk (1980). Erinnert sei an die Sieben Mala des leichtfertig-zänkischen Disputierens; notiert von Vincentius Bellovacensis/Vincenz von Beauvais 1247 (De eruditione filiorum nobilium, Cap. 21 nach De Rijk 1980, p.70):
Stolz (superbia), eitle Ruhmsucht (inanis gloria), Dummheit (stultitia), frecher Vorwitz (protervia), das Streiten gegen sein eigenes, besseres Wissen (consciencie turbatio), das Streiten gegen die anerkannte Wahrheit (veritatis impugnacio) und die Umnebelung der richtigen Einsicht (intelligencie obscuratio). Insoweit nichts Neues. Ausgeklügelte Disputationsgepflogenheiten und die Modi des Widersprechens und Erwiderns, wenngleich nicht schrankenlos gewährt und zweifellos Zeiten hindurch stranguliert, haben im europäisch-mediterranen Kommunikationsraum lange Wurzeln. Wozu eben nicht nur die vorbildlichen Formate der disputatio legitima gehören, die in der akademischen Kommunikationsgeschichte bisweilen gestreift oder traktiert werden. Und nicht erst in den hinreichend verläßlich überlieferten, scholastischen Disputationes des Hoch- und Spätmittelalters ging`s gelegentlich darum, die Disputationsgegner durcheinander zu bringen oder ad absurdum zu führen. Und auch nicht nur dann, wenn sie wirklich unfähig waren, ernsthafte Argumente ad propositum hervorzubringen.

 

Politisch gemischte Motivationen und Kontrolloptionen spielen auch bei vielen forenspezifischen Diskussions- und Meinungsangeboten von „Intermediären“, bei mehrsprachigen Messenger-Diensten, WhatsApp-Alternativen und Chatprogrammen wie (hier nur informell benannt) Facebook/Meta, Ginlo, Instagram, Signal, Skype, Telegram, Threema und Wire (schweizer encrypted communication and collaboration app) eine Rolle. Nicht zu vergessen Twitter/X und seine ambitionierten Konkurrenten w.z.B. Mastodon, Bluesky, Threads. Von der angewandt-linguistischen User-Perspektive und im Umfeld des jeweiligen Mehrsprachigkeits-Sektors sind es allesamt offene bis geschlossene, rhetorische Social-Media-Hilfsmittel: informative bis inquisitive, teils investigative, schnell recherchierende (speed matters), kurzweilige, unterhaltsame, ans Gesprächsbasis-Wissen anknüpfende Hilfsmittel. Auch die bisher schon routiniert eingesetzten Audiovisuellen Mediendienste, darüber hinaus Videosharing-Plattformdienste (YouTube/Google etc.), Gesprächsforen, Filmforen und Musiktribünen, fungieren als triviale Hilfsmittel.
Mit und ohne AI-Fokus wird in diesem Kontext zwar übergenug über Medienpolitik berichtet, gechattet, gestritten, traktiert und palavert. Demgegenüber finden neue Impulse, Entwicklungen, Errungenschaften, aber auch bravouröse Events und traditionelle Interpretationsstränge intermediärer Musikvermittlung weniger Aufmerksamkeit, werden, so scheint’s, mehr stiefmütterlich einsortiert oder eben weniger kritisch gewürdigt. Oder wär das bloß ein Trugschluß?

 

Anwendungsfragen zu AI-gestützten Chatprogrammen
und zum Umgang damit sind meistens trivial
:
Läßt es sich aufgabengemäß und lernzielentsprechend verwenden? Ist es dialogorientiert interaktiv und fehlerkorrigierend kompetent, wenn mal Eingabefehler passieren? Wie steht es um die Benutzerfreundlichkeit, Individualisierbarkeit und andere Usability-Aspekte (bequem zu handhaben oder nicht?). Wie lassen sie sich ins individuelle Medienrepertoire einpassen? Ob interpersonal (peer-to-peer/als ebenbürtige Kommunikationspartner und privat), in definierter Gruppenkommunikation veranstaltet, oder weitreichend im Öffentlichem Kommunikationsmodus (alle jeweils Eingeloggten können dann reinschauen). Erst, wenn z.B. Jugendliche eine mit AI-gestützten Chatprogrammen favorisierte, mitunter transitorische Lebensrealität imaginieren, die der präferierten ideologischen Orientierung ihrer Lehrer widerspricht, dann beginnen Medienpädagogen und Sozialwissenschaftler gewisse medienethische Bedenken zu formulieren sowie ungeniert Einsichtnahme und Zugangschancen in privat-vernetzte wie gruppenspezifisch verfaßte Archivdaten bzw. Daten-Protokollierungen zu fordern, selbstverständlich „rein forschungsprozeßbedingt“.

Einige AI-gestützte Chatprogramme mit Übersetzungsfunktionen und enzyklopädisch vernetzten Archiv- und Datenzugriffsmöglichkeiten sind derweil ins Gerede gekommen (z.B. deepL). Hauptberufliche Bedenkenträger, manche Elaborate etablierter Mainstream-Medien, Lobbyisten unterschiedlicher Couleur und Larvierung, Repräsentanten der europäischen wie transatlantischen Administrations- und Machteliten, nicht selten auch insuffizient informierte Parlamentarier malen damit fast schon den Untergang des Abendlands an die Wand. Bei Politischen Eliten kann man immer wieder beobachten, wie gern sie bevormunden, drangsalieren, kontrollieren, sanktionieren, evtl. auch zwangsbeglücken möchten.

 

Auch bei AI-Adminicula kommt’s drauf an, wer die Regeln bestimmt und wer sie wie zu wessen Gunsten in welche Richtung modifizieren, manipulieren, profilieren bzw. verändern kann, oder wer sie auf welche Weise mit welchem Modus operandi korrumpieren kann. Wer finanziert die „Begleitforschung“, die Kriteriologien-Konkretisierung, Standardisierung, sodann die etappenweise Evaluierung und Risikofolgenabschätzung, mithin den Polit-Marketingmix samt der persuasiven Promotion dieses EUAI-Acts? Wer bringt dafür das meiste Geld auf? Wer außer bereits beteiligten EU-Bürokraten (Apparatschiks), AI-produzierenden Industrien und damit kooperierenden (vorwiegend staatlichen?) Institutionen ist noch mit von der Partie beim AI-Act-Implementieren und Konkretisieren? Wo bleiben eigentlich die seit über einem halben Jahrhundert hochgelobten, gesellschaftlich relevanten Gruppen?


Die mediale Interaktion der User stellt u.a. eine Bildungsressource dar (Auer/Cukierman/Vidal/Caro 2024). Warum also AI-gestützte Adminicula EU-dirigistisch einschränken wollen? Wozu sollen der voluminöse AI-Act der EU (vom 21.Mai 2024) und die DSA-Reglements 2022/2065 der EU wirklich dienen? Zumal deren Artikel 36 und 40 ? (vgl. pars pro toto: Keller 2022, Zimmermann/Heinzel 2022, Henneberg 2023 und CCC). Wieso sollte es nötig sein, AI-Adminicula en gros oder detailliert EU-zentralistisch mit dem Instrumentarium von AI-governance-Strategien einzuschränken? Und zwar über die bereits existierenden Mediengesetze und Vorschriften (Fechner/Mayer eds.2022) hinaus? Was bezwecken die DSA-Artikel 36 und 40, worin zwischen öffentlich und privat nicht angemessen distinguiert wird? Soll womöglich die Privatsphäre via Chatkontrolle „geknackt“ werden?


Ohne Privatsphäre einschließlich Digital Privacy gäb`s keine wirkliche Freiheit mehr
.
Es geht um generelle, übergriffige EU-Internetzensur und Kontrolle, ums Löschen und oder Sperren, um tendenzielle Vergewaltigung von Free Speech, begleitet von EU-typischer Verschleierungsargumentation („Bekämpfung von Desinformation“ etc.). Der prioritäre Schutz von Artikulations-, Meinungs- und Redefreiheit, der Schutz von „Free Speech“ und der Schutz der Privatsphäre z.B. bei geschlossenen Chats scheint offenbar zur Disposition zu stehen.
Mit welchen Instrumentarien soll dies bei den nationalstaatlichen EU-Mitspielern implantiert werden? Große Plattformanbieter sind per EUAI-Act aufgefordert, ihre Systeme, Ressourcen und Verfahren zur Einhaltung der Bestimmungen „anzupassen“ und „ein unabhängiges Compliance-System“(?) mit flexiblen, in sich problematisch bestimmten Rechtsbegriffen bzw. Gummi-Formulierungen einzurichten, sowie eine jährliche Risikobewertung durchzuführen und der EU-Kommission „zu übermitteln“ (apportieren wäre wohl passender formuliert). Wozu durch AI- bzw. KI-Technik aufgerüstete und mit Hoheitsfunktionen ausgestattete Inquisitionsabteilungen nationalstaatlicher Provenienz erforderlich sein dürften. Chatkontrolle und Zensurrealität (z.B. durch redaktionell selektiv-strangulierendes „Moderieren“ freier Meinungsbeiträge und Statements, evtl. in algorithmisierter & standardisierter Form) stehen mE ziemlich eindeutig im Zusammenhang mit der erkennbaren In-Vivo-Oligarchisierungsprogression, sowie mit weiteren EU-Machtkonzentrations- und Zentralisierungsoptionen. Chatkontrolle, gerade im EU-Plausibilitätsdesign, stellt ein drastisches Herrschafts- und Sanktionsinstrumentarium dar. Nicht zuletzt, wenn es die Hände von Europol geriete.
Andere sehen in diesem Kontext eher ein geringes Gefahrenpotenzial aufkeimen. Die jeweilige medienpolitische Grundierung, Administrations- und Staatsorientierung spielt beim Einschätzen der betreffenden DSA-Reglements 2022/2065 eine erhebliche Rolle (vgl. auch Klinger/Ohme 2023). Noch im Herbst 2023 schien es, als ob die EU-Kommission zumindest in einigen umstrittenen Punkten gescheitert wäre (vgl. Meister 2023).
Aber davon abgesehen: was soll in puncto AI-Adminicula eigentlich passiert sein? Erfreuliche AI-gestützte Hilfsmittel, einige digitalisierte Adminicula (Hilfsmittel/Helferlein) mit involvierter Selbstlernkompetenz (AI-Chatbot Apps) waren rasch zu Trendsettern geworden und von den etablierten Politeliten sowie interessierten Institutionen nicht so leicht einsehbar, kalkulierbar, kontrollierbar oder gar zensierbar. Z.B. das vielzitierte


7b
)
ChatGPT auf openai.com (seit 30.November 2022 in der For-Free-Version online downloadbar). Abgesehen davon wird eine erweiterte Bezahl-Version für Institutionen, Wirtschaftsunternehmen, nicht nur Global Player, auch für ambitionierte Privatleute angeboten, die es sich leisten können. Neueste Software Releases sind eher hochpreisig, erfahrungsgemäß. Updates & Upgrades zu verschiedenen Versionen (z.B. GPT 3.5 oder 4, oder die seit 2023 offerierte Entwickler-Version) werden hier nicht diskutiert. Nicht uneingeschränkt vergleichbare Chat-Funktionen samt konkretisierbaren User-Interfaces sind freilich von diversen weiteren Messenger-Programmen erhältlich, soweit bereits implantiert. Hypothetisch formuliert, dürfte in diesem Genre derzeit hinreichend Wahlfreiheit existieren. Niemand wird gezwungen, offerierte Chat-Datencluster blanko ins persönliche Credo zu übernehmen. Das Programm warnt selber in seiner Zugangsmaske davor, in den Tips for getting started. Das erscheint soweit fair, oder? Bereits bei diesem Punkt darf wohl gefragt werden: Wieso soll das mehrsprachlich und Free-Speech-repräsentierte Universe of Discourse mit algorithmisierten AI-Governance-generierten Strategien der EU eingeschränkt bzw. „moderiert“ werden, um Compliance mit dem promulgierten AI-Act äquivalent für 24 natürliche Amtssprachen im EU-Sektor weltweit herzustellen? Das erscheint ebenso überflüssig wie unnötig.


Worum handelt es sich bei ChatGPT?
Angewandt-linguistisch und rhetorisch betrachtet, handelt es sich um ein generatives, binär-basiertes Chat-Programm des mittelbaren, mehrdimensional konstituierten, mehrfach vermittelten Sprechens: um AI-Adminicula bzw. um Eloquentiae adminicula. Beispiel:

Welchen Begriff von Text hast Du?
Antwort im November 2023:
In meinem Kontext als AI-Textmodell, habe ich einen breiten und allgemeinen
Begriff von Text. Ein Text ist eine schriftliche oder gedruckte Darstellung von Sprache oder Informationen. Ein Text kann aus Buchstaben, Wörtern, Sätzen und Absätzen bestehen und Informationen, Ideen oder Geschichten vermitteln. Texte können in verschiedenen Formen auftreten, einschließlich Büchern, Artikeln, Gedichten, E-Mails, Websites, Briefen und vielem mehr.
Mein Verständnis von Text ermöglicht es mir, auf Anfragen in natürlicher Sprache zu antworten und Informationen in schriftlicher Form zu generieren.”

Diese Antwort erscheint wohl zunächst ein bißchen mager. Das AI-generierte Dazulernen und unstete Optimieren im Rahmen dieser Mensch-Maschine-Kommunikation (vgl. z.B. Dilmegani 2023) – Natural Language Processing (NLP) – wird in dieser Antwort impliziert, nicht eigens mitgeteilt oder thematisiert.
Man darf sich das Text-Tableau wohl eher coeditorisch und cogenerativ-oszillierend vorstellen. Oder, w
ie John Fiske schon 1988 postuliert hatte:
The text is no longer a stable structure of signifiers“.

ChatGPT
ist ein AI-generiertes, alphabetisiertes bzw. symbolsprachlich transformiertes, verschriftlichtes Textmodell, ein textpublizistisches, auch literarisches Hilfsmittel, das durch textrhetorische Interaktionsfragen und Zugriffe auf andockbare Datenbanken weiterlernt, sich weiterentwickelt und innerhalb seiner binären Konstitutionsgrenzen optimiert. Es kann keine drei- oder mehrwertige Argumentations- und Sprachlogik zugrundelegen.
Fraglos ist es eine international agierende Datenkrake, die bei Geheimdiensten wie Staatsgebilden, nicht nur bei machtkonzentrationsoptimierten Staatsformen, gewisse Kontroll-Begehrlichkeiten weckt. Man wird daher eindringlich drauf hingewiesen, keine unnötigen privaten Daten (über die minimalen Anmeldedaten hinaus) zur Identifikation und etwaigen
evaluierenden persönlichen Charakterisierung einzugeben. Gilt umso mehr für Meinungspräferenzen. Es werden 11 Interface-Sprachen in der kostenlosen 2022er Version offeriert, obwohl die Chateingabe mit Sprachverarbeitungs- und Übersetzungsperformanz viele weitere Sprachen nutzerfreundlich beinhaltet. Um ein Konkurrenzprogramm von ChatGPT zu benennen, sei Grok (B.Wang 2023) erwähnt.“

 

7c) Der Aufgabenkranz dieser in der Individualkommunikation aus vielen vorherigen interpersonalen Dialogsituationen generativ resultierenden, “vorgekauten Häppchen” (pretrained) des transformiert angeboten Hinzulernens von ChatGPT entspricht vage der rhetorischen Trias in der Quintilianschen Orator-Rollenkombination: Movere, Docere, Delectare. Zu Beginn des 5.Kapitels in der dritten Buchrolle seiner Institutio oratoria notiert Marcus Fabius Quintilian: tria sunt item, quae praestare debeat orator, ut doceat, moveat, delectet (Quint. inst.orat. III, 5, 2). Dreierlei soll der Orator leisten. Doceat: er soll informieren, inhaltlich Standhaltendes bringen. Moveat: er soll die inneren Einstellungshaltungen des Publikums beeinflussen, bilden, zumindest anregen; er soll motivieren (d.h. er handelt nicht direkt, er regt an, kann insinuieren). Delectet: es sollte eher ein Vergnügen sein, ihm zuzuhören; er soll dabei auch unterhalten. Auch diese AI-Speech-basierte und mehrfach vermittelte Rollenkombination reicht sowohl an heutige, journalistisch-publizistische Kommunikator-Rollen wie an Rollenkombinationen von Sprachdidaktikern, Sprachtrainern, Kultur- und Landeskunde-Vermittlern heran. Dabei kommt es erheblich auf die Kommunikator-Glaubwürdigkeit und eine gewisse Atmosphäre des freiheitlich-demokratischen Pluralismus an. Nicht etwa auf drangsalierende Genderisierung, Soziologen-Slang und die “richtige” one-and-only-systemservile Ideologie. Stattdessen bleibt das permanente Dazulernen und der eklektische Methodenpluralismus etwas Positives: Lernprozesse begleiten und geleiten Lerner & Lehrer biographisch, kommunikatorzentriert, nicht nur beiläufig. Herleitbar aus einer überlieferten Auffassung Catos des Älteren, die schon zu dessen Lebzeiten popularisiert im Zeitgespräch der römischen Gesellschaft kursierte: Ne discere cessa! Hör niemals auf zu lernen! Lifelong learning ist keine Erfindung irgendeiner „Postmodernen Welt“ des 20. oder 21.Jahrhunderts. Ex hypothesi sind sprechtätigkeitsrelationale AI-Adminicula oder AI-Tools und Rhetorik keine Antipoden, sondern multilinguale Aktualisierungs-, Partikularisierungs- und Konkretisierungsvarianten von Free Speech, bzw. Realisationsformen und Realisationsvarianten von Free Speech.

 

Kommen wir auf die eingangs in dieser Diskussionsetappe (7)
gestellte, aus der öffentlichen Diskussion stammende Frage zurück:
Wozu soll dieser angeblich so „comprehensively“ generierte, im Secretarius-Stil aufgeblähte und regelungswütige Artificial Intelligence Act der EU (2024/1689) u.a. rückgreifend auf die zuvor dekretierten DSA-Reglements 2022/2065 der EU-Kommission wirklich dienen?


Meine Antwort darauf ist von der intellektuellen Priorität eines aufgeklärten, evolutionären, europäisch-rhetorischen Menschenbilds motiviert (Classen ed. 1976, Mühl 1928/75, Knittermeyer 1963, Booth 1979, Baruzzi 1979/93, Schramm 2017, Kunkolienker 2018, Osorio 2018). Meine Antwort ist weder angloamerikanisch-transatlantisch noch von einem merkantilen Internationalismus dominiert und knüpft an die Paidèia/Παιδεία-Diskussion (Nickl 2011/12/22) an, worin jedes Individuum vor Staat und Religion rangiert und die bewahrungswürdigen Freiheiten und Entwicklungschancen des Individuums gegenüber staatlichen oder religiösen Herrschafts- und Regelungsansprüchen generell als wertvoller aufgefaßt werden. Vom politischen System her verstanden ist dies in einem konstitutionell-republikanischen Kohärenzrahmen mit möglichst schlankem Staat situiert. Ergo: kein egalitär radikalisierter, christlich-kollektiver oder cachiert-kommunistisch auf eine vergötzte „Gesellschaft“ hinorientiertes, extensiv administriertes oder auf eine unkalkulierbare, unnötige Diversity-Stability-Hypothese fokussiertes, soziopolitisches Prokrustes-Bett.
Davon abgesehen soll nicht in Abrede gestellt werden, daß aufklärungsbewußte, christlich-humanistisch motivierte und temperierte Auffassungen seit einiger Zeit auch individuelle Freiheitsvorstellungen, „Freiheit des Denkens … des Sprechens, der Meinungsäußerung und des Meinungsaustausches“ (Kirchhof 2023/IV.2: 47), freiheitliche Selbstbestimmung, staatliche Freiheitsgewährleistung und diverse Gefährdungssichtungen inkorporieren. Faktencheckbezogen sei festgehalten, daß „die gravierende Rolle der generellen Freiheit der Meinungsäußerung und der Öffentlichen Meinung vom Vatikan erst Mitte des 20.Jahrhunderts akzeptiert und oder deklariert wurde: im Rahmen der Ansprache Papst Pius XII. an den III. Weltkongreß der katholischen Presse vom 17. Februar 1950“ (Nickl 2022/XVI: 62). Davon abgesehen stehen hier weder christlich oder kirchlich überlieferte Traditionsstränge, noch Sozialkonstruktivismus, Ethnokonstruktivismus oder Ökosentimentalismus im Fokus.


Meine Antwort auf die Frage nach dem etwaigen Zweck dieses Artificial Intelligence Acts der EU fußt auch nicht auf einem anerkannten, administrativ und neoaristokratisch anmutenden Herrschafts-Szenario, worin demokratisch fragwürdig, prekär bis nicht-legitimierte Exekutiv-Apparatschiks oder überbezahlte Politfunktionäre mit postulierter Medienkompetenz auftreten und aufgrund einiger gesellschaftspolitisch umstrittener, selektiv ideologisierter Hypothesen-Pyramiden algorithmenabhängige Vor- und oder Nachzensur ausüben oder operationalisieren möchten. Eingekleidet in digitalisierte Schein-Objektivität und sozialkommunikative Schein-Rationalität, herbeigetrickst per modum resolutionis. Zu den Problemen der saturierten EU-Kommission zählen nicht etwa deren humanbiologische Genera oder ihre Gender-Orientierung, sondern deren cachierte Connections, Dependenzen und deren realpolitisch effektive Obödienzen. Eine europapolitische Realisationsvariante des ansonsten spätmittelalterlichen Minnesängern, z.B. Oswald von Wolkenstein (um 1377-1445) zugeschriebenen Sprichworts: „Weß Brot ich eß`, des Lied ich sing!“


Freilich könnte man einwenden, daß der AI-Act der EU ja in praxi mit der Toleranzbreite einer Autobahn angewandt und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so sehr artefakten- und korrumpierungsanfällig oder mißbrauchsgefährdet sein dürfte. Aber auf argumentativ-diskursivem Level stellt das Bedingungsgefüge der initiativberechtigten EU-Kommission ein exekutives, machtpolitisches Interessen-Konglomerat dar, das sich vom Zwang des besseren Arguments nicht leiten lassen muß, dies evtl. sanktionslos ignorieren kann und eben keineswegs eine potenziell unterlegbare „ideale Sprechsituation“ repräsentiert, die eigentlich für derlei konsensualistisch inszenierte Entscheidungsfindungen, wie im 2024er AI-Act der EU angelegt, rational-diskursiv attestierbar sein sollte.


Aus dieser europäisch-rhetorischen Perspektive ist der 2024er AI-Act der EU in der vorliegenden Form abzulehnen. Dieses Implikaturen-reiche EUObservierungs-, Regelungs- und Restriktionspaket stellt ein abschreckendes Beispiel dirigistischer, zentralistischer und folgenreicher Einmischungen sowie angemaßter Medienkompetenz und problematischer Zuordnungsoptionen in die Freiheitsrechte des Einzelnen, aber auch in den internationalen Medienmarkt und den Status quo sowie die Entwicklungschancen von Medienanbietern und Medienunternehmen durch EU-manifestierte Machtkonzentration dar. Der 2024er AI-Act der EU gefährdet mE die weltanschauliche Neutralität des modernen Staats. Ein inakzeptables, EU-weites Überwachungssystem in statu nascendi, initiativ vorangetrieben von der EU-Kommission. Ein propagandistisch gewieft in „bestimmte Transparenzanforderungen“, „Maßnahmen zur Förderung von Innovationen“, „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU in strategischen Sektoren“ und in etliche weitere sachreferentielle Sektoren aufgegliedertes, plausibilitätsheischendes Unterfangen. Dicht gefolgt von einem „Vorschlag zu einer sicheren und vertrauenswürdigen Gesellschaft, einschließlich der Bekämpfung von Desinformation und der Gewährleistung, dass letztlich der Mensch die Kontrolle hat“ usw. usf. In toto jedoch ein in „wegweisende Regeln“ (EU-Presseerklärung: 13.März 2024) eingekleidetes Überwachungsgesetz mit Übergangsfristen bzw. Implementierungsfristen von sechs bis 36 Monaten. Geschickt wird dabei u.a. suggeriert, daß die EU-Einzelstaaten, die nationalen Mitspieler, derlei folgenreiche AI-Act-gestützte Medienobservierung ja selber nationalstaatlich konkretisiert veranstalten dürfen.

 

Das deutschsprachige Präpositionalkompositum „Desinformation“ (graphematisch linearisiert: Präposition + stimmloses Glissando/Fugensibilant + Nomen) habe ich erstmals Anfang der 1990er Jahre in der TM/Transparenz der Medien-Redaktion des Erlanger Vereins Bürger fragen Journalisten kennengelernt. Jargonhaft benutzt in mehrgliedrigen Wortgruppen w.z.B. „Desinformation ante portas“, bezogen auf Einflußmöglichkeiten und optionale Täuschungsstrategien vormals marxistisch-leninistisch trainierter Absolventen des Roten Klosters zu Leipzig (Journalistik-Sektion der Karl-Marx-Universität: stand unter Aufsicht der Abtlg. „Agitation und Propaganda“ des DDR-StaSi-Ministeriums), also larviert bezogen auf profilierte Kollegen bzw. „Genossinnen & Genossen“, die in den 1990ern erfolgreich und folgenreich in die „West-Medien“ strebten und sich da neu zu etablieren begannen. Manches lief damals über Logen-Connections und gewisse „Persilschein“-Attestierungen, ähnlich wie bei so manchen akademischen Berufungsszenarien. Im Kontext der Nachwende-Zeit publizistikwissenschaftlich dokumentiert ist die interrelationale Prägung Desinformations- und Diffamierungsdreick auf einer Podiumsdiskussion bei den IX. Erlanger Medientagen – TELEKRATIE – entscheidet das Fernsehen die Wahlen? – im Plenar-Statement des Soziologen Lothar Bossle 1994. Danach handelt es sich beim sog. Desinformations- und Diffamierungsdreieck um ein artifiziell zu Täuschungszwecken lanciertes Medienprodukt, das seine Wirkung durch politische Kräfte, durch Politisierung, zumal Parteipolitisierung und interinstitutionelles Aufgreifen bzw. transmediäres Moderieren und eindringliches Wiederholen entfaltet: (…) „um es sozusagen durch Wiederholung in den Zustand einer Wahrscheinlichkeit und dann einer Wahrheit zu versetzen„(Bossle 1994: 73).


Im angloamerikanischen Kommunikationsraum spielt die Diskussion und Traktierung des Disinformation-Terminus, seiner Konnotationen und Verflechtungen gleichfalls seit einigen Jahrzehnten eine Rolle. Was wir hier nicht nachzeichnen können; z.B. Fallis 2015, im Konnex mit Fake News vgl. Gelfert 2018. Der Desinformations-Terminus tritt meist in begrifflicher Konglomerat-Umgebung auf. Bekanntes Beispiel aus den USA ist das Desinformations– und Diffamierungs-Framing im Hinblick auf die Election-fraud/Wahlbetrugs-Evidenzbehauptung bzw. Hypothese angesichts vieler auffälliger, nachgeschobener Mail-in-ballots-Vorkommnisse und diverser weiterer, kritikwürdiger Ereignisse während der US-Präsidentenwahl im Nov. 2020; vgl. pars pro toto die Recherche-Ergebnisse des Jura-Profs. Davide K. Clements (New Mexico State Univ./NMSU) in den Features von Patrick Delaney und Jim Hoft (Jan. 2021).


Ob es sich bei den in öffentlich-politischen Diskussionen verwendeten, bis zu einem gewissen Grad ideologisch motivierten Abstracta oder Prägungen à la Desinformation, Fake News, Deepfakes oder Verschwörungstheorien um kommunikationstheoretisch fundierte, zuverlässig operationalisierbare, seriöse Kategorienbildungen handelt, ist zu bezweifeln. Eher schon dürften es Knock-down-Formeln, interpretative, artifiziell generierte und transmediär mehrfachvermittelte, repetitive Mantras und Prägungen fürs Machtsicherungs-Marketing sein, auch Dissonanzvokabeln für Follower, Parteigänger, Verlautbarungs-Generierer und dementsprechende Communities. Günstigstenfalls könnte es sich um reflexionslogisch aufpolierte Wortbildungen bzw. Wortfabrikationen aus der transnational schwer eingrenzbaren Public Communication handeln, teils um Internationalismen, teils um Übersetzungsäquivalente aus dem Funktionärsjargon konkurrierender, transatlantischer bzw. transnationaler Eliten.


Eine sich an solcherlei fungiblen wie kuriosen Prägungen orientierende oder daraus resultierende, EU-weite Medienaufsicht und Medienregulierung – oder gar eine durchgreifende EU-Medieninquisitions-Instanz: sozusagen ein EU-„Wahrheitsministerium“ – ist kategorisch abzulehnen.

 

Die in Rede stehenden AI-Act-Regulierungspaket-Texte (2024/1689) der EU lesen sich streckenweise wie von angloamerikanischen Security-Seminaristen formuliert oder aus etwaigen NGO-Elaboraten aufbereitet und danach EU-bürokratisch engagiert reformuliert. Ohne hier die Details zu besprechen, sei auf die profunde Kritik von Nikolett Aszódi (2024) in AlgorithmWatch verwiesen. Schon allein die gesellschaftspolitisch einseitige, konsensualistische Kollektiv-Orientierung von Disclosure, Deepfakes, Disinformation im EU AI-Act erscheint geeignet, sowohl das individuelle Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung als auch das Menschenrecht auf Religionsfreiheit unzulässigerweise einzuschränken. Die EU-Kommission scheint keinen adäquaten Begriff dafür zu haben, was raw data (which must be checked by intelligent people), data processing, information, interrelational-tentativ und politperspektivisch engagiert kategorisierbare „Desinformation“(disinformation) wirklich besagt. Gleichfalls, was Nachrichten (justiziable Tatsachenbehauptungen) und freie, unterschiedliche, gegensätzliche, mainstream-konforme oder kontrovers umkämpfte, verschiedenartige, identische, ähnliche, differenzierte, nonkonformistische oder provokant formulierte, widersprüchliche oder inkommensurable Kommentierungen, Interpretations- & Meinungsangebote darstellen und bedeuten. Dazu fehlt der EU-Kommission schlicht die Medienkompetenz. Sie versteht offenbar nicht, warum das konzertante Spannungsverhältnis von Identischem, Differenziertem, Komplementärem, Widersprüchlichem bis Inkommensurablem, von Information und dichotomisiert vorverstandener, sogenannter Desinformation geradezu ein logisch-rhetorisch unveräußerliches Lebenselexier der Public Communication darstellt. Gilt hier im Sinne einer uneliminierbaren Existential Generalization über komplexe Prädikate, reflexionslogische Kategorien und Implikationsstrukturen (in terms of Human Communication).  ME stellt dies einen elementaren Sachverhalt der Öffentlichen wie Rhetorischen Kommunikation dar, der mit einem einheitlichen, dekretierten oder stillschweigend als einheitlich unterstellten Wahrheitsbegriff – der konsequenterweise in sämtlichen Bereichen, Epistemologien, Objektbereichen, realsystematischen Dimensionierungen, Domänenbildungen und Religionen gelten müßte – weder kongruent noch konsistent noch suffizient zusammenpaßt.
Der 2024er AI-Act der EU (Regulierungspaket 2024/1689) in Verbindung mit den DSA-Reglements 2022/2065 der EU suggeriert eine Art von EU-moderierter und protegierter, kollektiv-konsensualistischer „Kommunikationswahrheit“, die letztlich der Compliance, Einschränkung und Begrenzung individueller Wahlfreiheiten zwischen Informations- und Meinungsangeboten in Relation zur informationellen Selbstbestimmung und weiteren, unveräußerlichen Grundrechten dient. Das derivative EU-Staatsgebilde will seinen Citoyens, seinen aufgeklärt-aktiven, eigenverantwortlich mitwirkenden Bürgern kraft 2024er AI-Act (Regulierungspaket 2024/1689 samt DSA-Reglements 2022/2065) ex negativo prinzipiell vorgeben, vorschreiben, vorzeichnen können, was wahr und was falsch ist. Die Entscheidung übers diskursive Wahr und Falsch liegt dann nicht mehr bei den EU-Citoyens, trotz der schönen Beteuerung, daß „letztlich der Mensch die Kontrolle hat“. Das mehrsprachlich und und bislang Free-Speech-repräsentierte Universe of Discourse soll künftig im EU-Sektor mit algorithmisierten AI-Governance-generierten Strategien eingeschränkt bzw. „moderiert“ werden, um Compliance mit dem promulgierten AI-Act äquivalent für 24 natürliche Amtssprachen (in diesem EU-Sektor weltweit) herzustellen.
So besehen stellt dieser AI-Act der EU in Verbindung mit den DSA-Reglements 2022/2065 aus meiner Sicht ein mehr oder weniger verklausuliertes Disziplinierungs- und Zensurinstrumentarium dar, das trotz oft wiederholter Beteuerungen und Berufungen auf formaldemokratisch institutionalisiertes Procedere wohl eher zu einem neototalitaristisch transmutierenden Staatsmachtgebilde passen dürfte.

 

AI-Act (2024/1689) und DSA-Reglements (2022/2065) der EU dienen jedenfalls streckenweise der Gängelung, Kontrolle, der Internet- und KI-Zensur, darüberhinaus auch – nach meiner Einschätzung – der potenziellen Subordinierung der EU unter angloamerikanisch-transatlantische Hegemonie-Ansprüche und merkantile Internationalisierungs-Interessen, wohl auch deren massenmedial vermittelte Machtsicherung, wozu nicht zuletzt eben auch dominierende, aber larvierte Medienmacht und digitalisierte Medienkontrolle gehört. Kontraproduktiverweise dürfte dies nicht zuletzt dazu dienen, sicherzustellen, daß Europa in nächster Zukunft gewiß keine globale Führungsrolle avisieren geschweige denn erfolgreich umsetzen kann. Denn die für die gravierenden Vorschriften und prekären oder riskanten Zuordnungen relevanten Entscheidungsvorlagen und erforderlichen Daten-Verarbeitungsprogramme dürften wohl doch eher auf automatisierten, US-amerikanischen Algorithmen & Intelligence-Vorgaben basieren (Hypothese). Durch die übergriffige Medienregulatorik dieses EUAI-Acts dürfte die EUMedienpolitik ihre „europäische Bodenhaftung“ (Nickl 2011: 15) verlieren. Medienpolitisch erzwungene,  bremsende bis tendenziell strangulierende Entwicklungsverunmöglichung – nicht nur in AI-Arealen – dürfte wahrscheinlich dazu führen, daß dem zuzuordnende Entwicklungsfortschritte und entsprechend zu erwartende Wertschöpfung auf anderen Kontinenten ebenso erfolgreich wie folgenreich stattfinden werden. Die nach Art. 11 der Grundrechte-Charta (2007/C 303/05) virulente Frage: Werden die EU-Europäer ihre Meinungsäußerungsfreiheit, Medienfreiheit und Pluralität „ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen“ bewahren?, scheint sich seit Mai 2024 wohl nur noch scherzhaft zu stellen.

 

 Unschwer erkennbare Gefahrenquellen für zentralisierte, EU-zirkuläre Fehlentscheidungen hinsichtlich AI und Medienpolitik dürften weniger durch AI-Entwickler und rasant fortgeschrittene, marktfähige AI-Programme drohen oder bedingt sein als vielmehr durch prärogativ dominierende, medienpolitische Motivationslagen und Restriktionsintentionen, eilfertig produzierte Gefälligkeitsbegutachtungen, Inkompetenz und zuviel Lust an der Kontrolle. Paradoxerweise dürften wohl die Hauptgefahrenquellen nicht exklusiv zwingend in der AI liegen, sondern in den entscheidungsrelevant befaßten, überdotierten EU-Humankommunikatoren. Sicherlich läßt sich das voluminöse Framework des AI-Acts der EU womöglich devoter und mit vorauseilendem Gehorsam adaptiver einschätzen. Ich kann mich hier nicht augenzwinkernd zu einer affirmativen Stellungsnahme durchringen. Nicht verwunderlich, daß schon im März 2024 die ersten Jubel-Rezensionen zum EU-AI-Act aus transatlantischer Perspektive veröffentlicht worden sind (pars pro toto: T. Rolfe 2024).


Item: Bei der Implementierung von EU-AI-Act samt zugehörigem Regelwerk geht es um Einschränkungs-, Kontroll- und Zensuroptionen: relational zur Modulationsbreite des Free-Speech-bezogenen Audiatur-et-altera-pars bis hin zu konkreten Eliminierungsmöglichkeiten de Modis Opponendi et Respondendi. Was die Strangulierung
des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung von EU-Bürgern/Citoyens und ihrer Meinungs-, Glaubens-, Presse- und Religionsfreiheit tangiert, bzw. geeignet erscheint, diese erheblich zu verletzen. Achillesferse ist ein just like that unterstellter, einheitlicher, konsensualistisch per resolutionem fungierender, vereinfachter, korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff, andererseits ein daraus hergeleiteter, AI-Governance-generativ operationalisierbarer Wahrheitsbegriff, übergreifend für Information (raw data) sowie für Disclosure, Deepfakes, Disinformation. Per EU-auctoritatem können dann aus dem Gefüge, Procedere & Regelwerk dieses EUAI-Acts gewisse Kanonisierungen, Syllabi, Verbote oder Verurteilungen einzelner, intermediärer Groß-Anbieter, internationaler Plattformen oder TV-Stations resultieren, zumal Verbote oder Verurteilungen von politisch unliebsamen, konsensualistisch unerwünschten Alternativen-, Pluralitäts- und Realitätskonstruktions-Vermittlern. Die konglomerat-staatliche, weltanschaulichen Neutralität wird dadurch preisgegeben. Dennoch stellt das EU-Staatenkonglomerat seinem bramarbasierenden Selbstverständnis gemäß eine über manchen Zweifel erhabene, wahre Demokratie dar.
Den EU-Bürgern/Citoyens soll EU-staatlicherseits offenbar verklickert werden, daß die EU informationstechnisch-operational Wahrheit ex negativo durch Zensur zu definieren imstande ist und willens ist, dies EU-weit durchzusetzen.
Außerdem dürfte die Implementierung von AI-Act samt EU-Regelwerk zu einer effektiver durchgreifenden Kommunikationskontrolle der bisherigen nationalen Mitspieler, aber auch der nationalstaatlichen Beitrittskandidaten der EU beitragen.
Mit dem digitalisierungspolitischen bzw. medienpolitischen Zur-Disposition-Stellen der konglomeratstaatlichweltanschaulichen Neutralität im Konstellationsrahmen dieses EUAI-Acts wird der Nährboden für ideologisierte Ritualschlachtungen, mediendramaturisch inszenierte Scheiterhaufen und politreligiöse Konfessionskriege im zeitgemäß digitalisierten Design bereitet.
Amplius: Dieses anmaßende EU-Überwachungsregelwerk, genannt EUAI-Act,
sollte m.M.n. abgeschafft statt weiter implementiert werden.

 

 

8) Basics der Centrality of Speech Communication:
Contra soziologische Vereinnahmung

Back to basics: Das im Vollzug trivial gegebene sprachkommunikative Oberflächenverhalten repräsentiert nicht die Komplexität der zugrundeliegenden Funktionsschleifen und Prozesse. In asymmetrisch-humaner Sprachkommunikation existieren so gut wie keine autochthonen Qualitäten, so gut wie keine sprachproduktive wie apperzeptive Chancengleichheit, keine reinen Sinustöne, jedoch kaschierte Kohärenzen, Verarbeitungs- sowie Syntheseprozeduren und jede Menge maskierter Effekte. Wär dem nicht so, würden wir beim Sprechen und Hören bizarre klangfarbenreiche Tongemische wahrnehmen, aber keine Silben, Wörter, Wortgruppen, Sätze bzw. satzwertige Einheiten natürlicher Sprechsprache, Argumente und Argumentationen.
Die wohl eher mediensoziologisch ventilierte Tendenz, sprechsprachlich kommunikatorrelevante Zusammenhänge und konstituierende Asymmetrien der Sprachlichen Kommunikation – z.B. in Anthropologie, Audiologie, Argumentationslogik, Phonation, Kognition, Memoria, Kompetenz und Performanz, Argumentationsverarbeitung, Sprach-, Symbol- und Signalverarbeitung im humankommunikativ-multimodalen Gesamtsensorium sowie deren medienrhetorische Objektivierungsprobleme – zu überspringen und gegenüber den exteriorisierten und extern greifbaren und quantifizierbaren Big Data der Massenmedien-Kommunikation als nachrangiges Epiphänomen zu derangieren, dies erscheint theoretisch, pädagogisch wie didaktisch prekär und irreführend. Denn eine valide Verbindung zwischen diesen disparaten, humankommunikativen Domänen existiert ad hoc nicht meßtheoretisch kausal, sondern eher behauptungslogisch. Eine plausibel und evidenzbasiert reproduzierbare Integration von mediensoziologischen Bedeutungshorizonten, soziolinguistischen Impressionen und Wunsch-Konzeptualisierungen in epistemologisch standhaltende Modelle der sprechsprachlichen Kognition, Speech Production, SLP und Speech Comprehension liegt bislang nicht vor (vgl. auch Docherty/Foulkes/Gonzales/Mitchell 2018). Fachnächste Disziplinen von Linguistik/Sprachkommunikationswissenschaften und Speech Sciences (Nickl 2020: 124) sind interdisziplinäre Phonetik (soweit eigenständig vertreten), dann Phoniatrie und Pädaudiologie, Neurophysiologie und szientifische Rhetorik. KI-Forschung, Humangenetik und spezielle Verhaltenswissenschaften kommen hinzu. Soziologien der Massenkommunikation repräsentieren Frageinteressen und Themenkataloge, die nicht primär an der Centrality of Speech oder am biolinguistischen oder rhetorischen Paradigma (Nickl 2007, 2020, 2022) ausgerichtet sind, sondern dies komplementär dazu als Quantité négligeable betrachten. Wird die reale Kommunikator-Komplexität und heterogene, sachreferenzielle Modulationsbreite der tradierten, weiterexplizierten Quintilianschen Rhetorik-Dimensionierungen und Domänenbildungen empirischer Sprechsprache beiseite geschoben, bleiben vor allem fragmentarische, separate, nicht selten ideologieanfällige, auch elegant politisierbare Ansätze zur Gesellschaftlichen Kommunikation übrig, genauerhin zur Humangesellschaftlichen Kommunikation. Worin z.B. Agenda-Setting-Thematisierungsfunktionen, Dissonanz-Effekte, ideologisch überfrachtete bis unwissenschaftliche Genderismus-Postulate und Wissenkluft-Hypothesen, Ansätze zur Funktion von Gewaltdarstellungen oder die Theorie der Schweigespirale, oder der Uses-and-Gratifications-Ansatz qua Theorie der selektiven Zuwendung u.s.w. eine Rolle spielen und wobei aktive Rezipienten in den psychosozialen Kommunikationsprozessen zumindest noch mitgestaltend mitspielen dürfen.

 

♦ Hypothese: Interdisziplinär Angewandte Linguistik – sei es z.B. DaFF oder Interkulturelle Germanistik, Kommunikationswissenschaftliche Rhetorik oder Speech Communication – als rundum durchsoziologisierte oder politologisiert überfrachtete Quasi-Sozialwissenschaften betrieben, das wär` viel zu einseitig, importiert zu viele soziologisch-politologische Bestimmungsstücke, ließe hauptsächlich externe, mehrfachvermittelte Daten sprudeln, um sie darstellungstechnisch ins Social-Soft-Science-Design einzukleiden. Das für die Datenanalytik gesamtgesellschaftlicher Merkmal-Mengen erforderliche Abstraktionsniveau dürfte dann wohl nicht ohne methodologische Mißgriffe auf konkrete Einzelfälle/Individualitäten projiziert werden. Individuelle Kommunikatoren in ihrer Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit sowie idiolektale bzw. sprechsprachliche Kommunikatorperformanz dürften demzufolge dann prinzipiell keine zentrale Rolle mehr spielen. Der Vorrang politsoziologisch inspirierter Bestimmungsstücke und Kategorienbildung im Rahmen der Sprach- und Kommunikationspädagogik führt zur reduktionistischen Fokussierung auf wenige exteriorisierte Argumentationssegmente, mithin zur ideologischen Überfrachtung von Sprachkommunikation. Bedeutet einen weiteren Sieg der Gesinnung über die Erkenntnis. Interpersonale Didaktik und Pädagogik der Sprachkommunikation, egal in welchem mehrsprachigen Umfeld, sollte primär kommunikatorzentriert, personzentriert sein, nicht zuallererst auf Kollektive hinorientiert und eben nicht von doktrinären, prärogativ bevorzugten, sachfremden Erwägungen abhängig gemacht werden. Für DaFF und interdisziplinär-vergleichbare Ansätze dürfte der Weg und die Weiterentwicklung zur modernen Kultur- und Kognitionswissenschaft als aussichtsreich einzuschätzen sein: als evolutionär wie progressiv interessierte, humanwissenschaftliche, technologiefreundliche Interdisziplin (Kandel 2013), eine „normal science“ ohne Methodenmonismus.


9
) Rollenanforderungen an Sprach-, Sprech-, Kultur- & Landeskunde-Vermittler 

Die Rollenanforderungen an Sprach-, Sprech-, Kultur- und Landeskunde-Vermittler sind relativ hoch: Trainer/in, Moderator/in mit Coaching-Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie hinreichend sortierten, komplementären Methoden-Kenntnissen.
Rein philologische Ansätze können die erforderliche theoretische Integration heterogener Datencluster und Domänenbildungen, Segmentierungsproblemen und psychosozialen Selektionsfragen der interpersonalen, sprechsprachlichen und medienrhetorischen, sprachlich-öffentlichen und persuasiven Kommunikation (Nickl 1998) via deskriptive Kategorisierung nicht leisten, weil sie unangemessen an insuffiziente Saussuresche Linguistik gekoppelt sind und mit einer auch philologisch kaum nachvollziehbaren Neuauflage des längst überkommenen Sola-Scriptura-Prinzips einhergehen: z.B. fragwürdige, kühne Kategorisierungen und Vereinfachungen im Determinismus, normativ-präskriptiv optimierte und präparierte Langue (basierend auf alphabetisierten, bzw. minimalsegment-phonologisch orientierten, symbolsprachlich notierten, redaktionell aufbereiteten Sekundärdaten). Dagegen: Parole/Sprachperformanz bzw. je nach Dokumentsortenspezifik beliebig reproduzierbare Sprechtätigkeit als „unsaubere“ Langue, Strukturalismus prinzipiell unter Ausklammerung der Zeitachse. Temporalität spielt fast nur noch bei der Morphemcharakteristik eine Rolle (Elst 1990: 166-169). Darstellungstechniken und Modellierungen basierend auf kategorisierten Synchrongebilden, so z.B. in manch verblüffenden Syntax-Modellierungen. Substantiierte Kritik an den reduzierten Vorstellungen der Saussureschen Linguistik wird in Europa etwa seit dem VI. Internationalen Linguistenkongreß in Paris 1948 geübt (Otto 1954: 60 f.). Wozu kommunikationswissenschaftlich-phonetisch kompetente, konstruktive Kritik (Tillmann 1973) zählt. Freilich ohne nennenswerten Effekt auf die graduell immer noch ziemlich feudalistisch und top-down organisierte, hoheitlich institutionalisierte Beamtenlinguistik deutschsprachiger Länder.

 


10) Ausblick & Concluding Remarks:

Die Natur hat uns mit der Disposition und Kombinatorik von binauralem Hören, Phonation, Sing- und Sprechstimme, Sprachkommunikations-Verarbeitung, mit muttersprachlich geregelter Prosodie und Performanzgrammatik, mit Social Cognition (Bandura 2001) und Gleichgewicht ausgestattet. Die interpersonal-diskursive Konstitution des Ich sollte nicht mit kollektiv-deregulierter oder sozialkommunikativ-schikanös suggerierter Identitäts-Destabilisierung oder sozialpolitischer Maskerade verwechselt werden. Wir kommunizieren nicht nur im Rahmen orthographisch und kulturtechnisch erworbener, symbolsprachlich notierbarer, mithin sekundärer Text-Modalitäten und Repräsentationen noch exklusiv mit binär konstituierter, korrigierbarer, prozessualer Textverarbeitung (Otto 1954, Dance 1970/1989, Tillmann 1997, Jäger 1999/2000, Chrupała 2023). Es kommt konzeptionell und methodologisch drauf an, Balance zu halten und adäquatere Human-Modelle der polyvalent fundierten, primären Sprechsprache zu entwickeln. Wir sollten dazu eine eklektische, kombinatorisch-korrelative, interdisziplinär-rationale, positivistische Epistemologie anwenden. Humankommunikationstheorien sind für die Integration empirisch-heterogener Datencluster sprachlicher Kommunikation angemessen geeignet.
Abhängig von technologischen Fortschrittsetappen könnte sich der ad evolutionem phylogeneticam gekoppelte Homo loquens (Fry 1977, Osgood 1980, Ackermann/Hage/Ziegler 2014) AI-modifiziert und genetisch optimiert tatsächlich zum Homo multarum linguarum peritus entwickeln. Mit realer Transformationsoption auf Homo digitalis atque sermocinalis (Nickl 2023). Was spräche denn dagegen? Trotz aller Designvarianten kommt es in der transnationalen Lehrvermittlung kontinuierlich aufs akzeptable, glaubwürdige, kompetente Balancehalten und unabdingbar aufs individuelle, sermozinale Subjekt (Polányi 1962, Dance 1970/82, Tillmann 1974/1993, Yngve 1981, Fromkin 1997, Chomsky 1981/2004, McCroskey 2006), auf die angemessene Kommunikator-Personifizierung im Sprachkommunikationsprozeß an.

 


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Artikel 36 dieses EU-Reglements 2022/2065 of the European Parliament and of the Council of 19 October 2022, betitelt „Krisenreaktionsmechanismus“, erscheint 
problematisch z.B. gegenüber der im bundesdeutschen GG garantierten FDGO (Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung). 
Artikel 40, „Datenzugang und Kontrolle“, gemäß PDF-Version: eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32022R2065 ist problematisch, weil nicht zweifelsfrei zwischen offenen und geschlossenen Chats (Privatsphäre) differenziert wird. 
In Kraft ist die konsolidierte Textversion, gemäß Document 02022R2065-20221027: 
Règlement (UE) 2022/2065 du Parlement européen et du Conseil du 19 octobre 2022 relatif à un marché unique des services numériques et modifiant la directive 2000/31/CE (règlement sur les services numériques / Texte présentant de l’intérêt pour l’EEE) und in den EU-Sprachen downloadbar:  
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